Die Armenier-Resolution des Bundestags: Ausgebremst!?

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Die wegen ihrer Flüchtlingspolitik innenpolitisch sehr bedrängte Bundeskanzlerin Angela Merkel beschloss, zwei Wochen vor den vorgezogenen Parlamentswahlen in der Türkei zu Gesprächen mit Präsident Erdoğan und Ministerpräsident Davutoğlu nach Istanbul zu reisen. Sie wurde hier wie dort stark kritisiert, insbesondere von den türkischen Oppositionsparteien, aber auch von Intellektuellen. Sie fuhr dennoch hin.

Einen Tag vor ihrer Abreise brachte Der Spiegel am 17. Oktober auf S. 93 unter anderem das („Der Sultan lässt bitten. Diplomatie: Die großzügigen Angebote der Europäer an Staatschef Erdoğan“):

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Das war ein Schock!

Dabei hatte alles so gut angefangen. Im Bundestag sollte debattiert werden. Die Anträge waren vielversprechend: „100. Jahresgedenken des Völkermords an den Armenierinnen und Armeniern 1915/1916 – Deutschland muss zur Aufarbeitung und Versöhnung beitragen“ (Die Linke), „Gedenken an den 100. Jahrestag des Völkermords an den Armeniern –Versöhnung durch Aufarbeitung und Austausch fördern“ (Bündnis 90/Die Grünen).

Selbst der Antrag der großen Koalition enthielt trotz des schwachen Titels „Erinnerung und Gedenken an die Vertreibungen und Massaker an den Armeniern vor 100 Jahren“ letztendlich diese Formulierung:

„Ihr Schicksal steht beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von denen das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist.“

Ein Meilenstein der besonderen Art war die Ansprache von Bundespräsident Joachim Gauck  im Anschluss an den „Ökumenischen Gottesdienst im Berliner Dom anlässlich der Erinnerung an den Völkermord an Armeniern, Aramäern und Pontos-Griechen“ am 23. April 2015 in Berlin.

Ungemein imponierend war die Plenardebatte des Deutschen Bundestags  am symbolträchtigen 24. April 2015 mit den Auftritten von Bundestagspräsident Prof. Norbert Lammert und zahlreichen Abgeordneten (Dr. h. c. Gernot Erler, Ulla Jelpke, Dr. Christoph Bergner, Cem Özdemir, Frank Schwabe, Dr. Norbert Röttgen, Dietmar Nietan, Erika Steinbach, Dr. Bernd Fabritius).

Dennoch: All das war nicht im Sinne der Bundesregierung. Außenminister Steinmeier hat einige Male versucht öffentlich zu intervenieren. „Komplexe Erinnerungen sind nur selten auf einen Begriff zu bringen“, so lautete einer seiner Einwürfe. Das war noch bevor Präsident und Parlament sich geäußert hatten.

Trotzdem haben Bundespräsident Gauck, Parlamentspräsident Prof. Lammert, Grünen-Chef Özdemir und viele andere die Vorgänge von 1915 sehr wohl „auf einen Begriff“, eben Völkermord, gebracht.

Aber Steinmeier gab nicht auf. Auch nach dem 24. April versuchte er zu intervenieren: Nun hieß es: „Wir müssen in Deutschland aufpassen, dass wir am Ende nicht denen recht geben, die ihre eigene politische Agenda verfolgen und sagen: Der Holocaust hat eigentlich vor 1933 begonnen.“ Übersetzt hieß das: Wer den Völkermord an den Armeniern Völkermord nennt, verharmlost den Holocaust. Nach dieser Logik sind Papst Franziskus, Bundespräsident Gauck, Prof. Lammert und all die anderen „Verharmloser des Holocaust“. Henryk Broder, Kind jüdischer Eltern, die KZ-Überlebende waren, schrieb: „Sie [Außenminister Steinmeier] haben von nichts eine Ahnung, weder von dem Völkermord an den Armeniern noch vom Holocaust an den Juden! Macht es einen qualitativen Unterschied aus, ob sechs Millionen oder ‚nur‘ 1.5 Millionen Menschen ermordet wurden? Haben die Armenier, die in der Wüste verdurstet sind, weniger gelitten als die Juden, die in Auschwitz vergast wurden?“

Bald nach dem 24. April wurde es still um die Armenieninitiative des Deutschen Bundestags. Nach der Sommerpause hieß es, man wolle die vorgezogenen Wahlen in der Türkei abwarten.

Diese Passagen aus der gemeinsamen Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und Ministerpräsident Davutoğlu vom 18. Oktober geben einen Eindruck davon, wie die Resolution des Bundestags zum Völkermord an den Armeniern bis auf weiteres auf Eis gelegt werden könnte:

Davutoğlu: Wir haben auch über bestimmte Themen im Zusammenhang mit dem Jahr 1915 und einem Antrag, den es diesbezüglich im Deutschen Bundestag gibt, gesprochen. Ich habe gesagt, dass diese Themen eigentlich insbesondere auf akademischer Ebene geführt in einer Kommission besprochen werden sollten, in der unter anderem auch deutsche Historiker dabei sein sollten. Ich möchte hierzu auch grundlegend die türkische Haltung darstellen: Beide Länder waren im Ersten Weltkrieg auf der gleichen Seite, und hier sollten sie in einer Historiker-Kommission – auch mit anderen Historikern – zusammenkommen, um dieses Thema zu erörtern. Wir sind bereit, jegliche Unterstützung diesbezüglich zu leisten. Wir wollen natürlich auch, dass dabei auch historisch gesehen eine Versöhnung zwischen der Türkei und den Armeniern stattfindet, und da sind wir für jegliche Kooperation bereit.

Merkel: Insofern möchte ich mich heute für die Gespräche und auch für das Angebot, in der Frage der Türkei und Armeniens noch einmal mit den Historikern zusammenzuarbeiten, ganz herzlich bedanken. Ich glaube, wir können und werden unsere Arbeit intensiv fortsetzen.

Das Video:

Die Türkei schlägt zum wiederholten Mal eine Historikerkommission vor, in der auch deutsche mitwirken sollen, von Armeniern ist keine Rede. Die Bundeskanzlerin stellt die deutsche Mitwirkung in Aussicht.

Wer sich auf dieses Abenteuer einlässt, sollte das wissen:

– Der türkische Staat benennt handverlesene linientreue Historiker, die darauf achten, dass die staatlichen Setzungen eingehalten werden. Diese hat Erdoğan einige Male deutlich benannt. So hat er im Charlie Roses Interview vom 8. Dezember 2009 im US-amerikanischen Fernsehsender PBS TV gesagt: „Meine Vorfahren haben keinen Völkermord begangen, sie tun so etwas nicht.“ Des Weiteren stellte er beim Spiegel-Gespräch vom März 2010 fest: „Ich bin Muslim. Aber ich habe meine Religion nie mit anderen Religionen verglichen. Ich habe gesagt, dass ein Muslim einen Völkermord, so wie ihn die Vereinten Nationen definieren, nicht begehen kann. Der Islam ist eine Religion des Friedens. Die Muslime glauben: Wer einen unschuldigen Menschen tötet, der handelt so, als hätte er die gesamte Menschheit getötet (…) Von einem Völkermord an den Armeniern kann keine Rede sein.“ Schließlich als der US-amerikanische Fernsehsender PBS Erdoğan am 27. April 2014 fragte, ob er „die Geschehnisse von 1915“ als Genozid umschreiben würde, antwortete er: „Wenn es einen Genozid gegeben hätte, würde es heute in diesem Land [Türkei] überhaupt Armenier geben?“

– Welchen Zielen die „Historikerkommission“ aus türkischer Sicht auch dienen könnte, machte eine Fernsehdebatte vom 15.10.2009 auf dem türkischen Kanal D deutlich. Sechs ehemalige türkische Außenminister, darunter auch Mesut Yılmaz, diskutierten über die Zürcher Protokolle. Einer von ihnen, Ilter Türkmen, der seinerzeit Mitglied der Turkish Armenian Reconciliation Commission war, sagte ohne Umschweife: „Auch ich weiß, dass diese [Historikerkommission] zu nichts führen wird … Das dauert Jahre … Wenn wir zwischenzeitlich mit einer Genozid-Behauptung konfrontiert werden, werden wir ‚Warten wir mal ab, die Historiker arbeiten daran’ sagen. Der eigentliche Nutzen [der Historikerkommission] besteht darin, dass dies die Methode ist, mit der die Verabschiedung [einer Genozidresolution] durch den amerikanischen Kongress unterbunden werden wird.“

Das sind bekannte Sachverhalte, doch angesichts der Rolle, die die Türkei bei der Bewältigung der Flüchtlingswelle übernehmen soll (ob sie es überhaupt kann bzw. will ist stark umstritten), bekommen sie zusätzliches Gewicht.

Sollte die Historikerkommission mit deutscher Beteiligung zustande kommen, kann die Türkei mit Verweis auf ihre neue Rolle deren Arbeit in ihrem Sinne viel effektiver beeinflussen als zuvor.
Sollte andererseits der Bundestag vorhaben, doch noch eine Armenien-Resolution zu verabschieden, so kann die Bundesregierung mit Verweis auf die laufende Arbeit der Historikerkommission davon abraten. Schließlich würde eine Resolution die Arbeit dieser Kommission präjudizieren. Darüber hinaus würde ein solcher Schritt einen durch die Flüchtlingswelle noch viel wertvoller gewordenen Verbündeten verprellen.

Es sieht so aus, als hätte die Realpolitik mit eleganten und effektiven Argumenten der ungeliebten Armenier-Resolution, die möglicherweise Hinweise zur deutschen Rolle bei 1915 enthielte, einen Riegel vorgeschoben. Dass hierdurch die Bundesrepublik ausgerechnet als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reichs zu den wenigen Staaten in Europa gehört, die die Vorgänge von 1915 offiziell nicht als Völkermord anerkannt haben, das scheint die maßgeblichen Politiker hierzulande nicht weiter zu stören.

 

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