Französischer Senat macht den Weg frei zur Bestrafung der Leugnung des Völkermordes an den Armeniern

franzoesischer-senatAm 01. Juli 2016 verabschiedete die Französische Nationalversammlung den von der Regierung eingebrachten Änderungsantrag Nr. 1559 zum  Artikel 38b des Gesetzes „Égalité Et Citoyenneté“ („Gleichheit und Staatsbürgerschaft“) – scheinbar ohne jeden Bezug zum Völkermord an den Armeniern. Die Debatte vermittelt einen anderen Eindruck.

Wenn auch die folgende Passage allgemein gehalten ist, deckt sie dennoch neben anderen, ähnlich gelagerten Fällen, auch den Völkermord an den Armeniern ab (“historisch anerkannte Verbrechen”). Ihre Ahndung ist an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. Diese haben wir in der deutschen Fassung hervorgehoben.

“Alors que seule la négation de la Shoah est aujourd’hui réprimée, ce texte permettra de sanctionner la contestation ou la banalisation de l’ensemble des crimes contre l’humanité ou des crimes de guerre, de manière non limitative, dès lors qu’ils auront été. Il permettra, au-delà et de manière plus générale, de prendre en compte des crimes historiquement reconnus, même si leur ancienneté exclut de fait toute possibilité pour la justice de se prononcer, lorsque leur contestation ou leur banalisation sera commise dans des conditions incitant à la haine ou à la violence.”

Zu Deutsch: „Während heute nur die Leugnung der Schoah geahndet wird, wird dieser Text die Bestrafung von Anfechtung oder Banalisierung von allen Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder von Kriegsverbrechen ermöglichen, wenn diese durch die Rechtsprechung anerkannt worden sind. Zusätzlich wird er ganz allgemein die historisch anerkannten Verbrechen berücksichtigen, wenn ihre Leugnung und Trivialisierung in der Absicht geschieht, Hass oder Gewalt zu schüren, auch wenn es für die Justiz ausgeschlossen ist, darüber zu befinden, weil diese sehr weit zurückliegen.“

Die Geschichte der Bestrafung der Genozidleugnung in Frankreich ist recht lang. Am 22. Dezember 2011 verabschiedete die Französische Nationalversammlung ein Gesetz, mit dem die Leugnung des Völkermords an den Armeniern bestraft werden sollte. Initiatorin war die Abgeordnete Valérie Boyer. Wir berichteten. Einen Monat später, am 23. Januar 2012, billigte der Französische Senat dieses Gesetz, das am 28. Februar 2012 vom Verfassungsrat gekippt wurde.

Am 13./14. September  2016 beriet der eigens für das Gesetz „Égalité et citoyenneté“ geschaffene Sonderausschuss des Senats auch über Artikel 38b. Er befand:

„refusé la création d’un nouveau délit de « négation, minoration ou banalisation » des crimes de génocide , la commission spéciale considérant qu’il n’appartient ni au législateur ni aux magistrats de s’ériger en juges de l’Histoire (art. 38 ter).“

Zu Deutsch: Der Sonderausschuss „lehnt die Schaffung des Straftatbestands ‚Leugnung, Herabsetzung oder Banalisierung‘ von Genoziden ab. Der Sonderausschuss ist der Ansicht, dass es weder den Gesetzgebern noch den Richtern zusteht, sich zum Richter über die Geschichte zu erheben (Art. 38b)“.

Dieses Votum des Sonderausschusses konnte die Debatte und die Abstimmung im Senat vom 14. Oktober 2016 nicht verhindern. Wie man dem Protokoll entnehmen kann, war sie sehr hitzig. Schließlich wurde Art. 38b mit Stimmenmehrheit (156 Ja-Stimmen, 146 Nein-Stimmen) angenommen. Interessant ist, wer wie gestimmt hat.

Mit großer Wahrscheinlichkeit wird der Verfassungsrat über das Schicksal von Art. 38b entscheiden. Zur Erinnerung: Er hat das Vorgängergesetz vom 22. Dezember 2011 am 28. Februar 2012 gekippt. Die damaligen Umstände waren bemerkenswert. Wir haben darüber ausführlich geschrieben. Interessant wird sein, welches Argument der Verfassungsrat dieses Mal bei einer möglichen Ablehnung vortragen wird. Damals lag eine vorgebliche Verfassungswidrigkeit vor.

Allerdings liegen die Dinge von damals und heute anders. Das fängt schon damit an, dass heute Jean-Paul Costa, ein erfahrener Jurist und ehemaliger Präsident des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), federführend bei der Formulierung war. Es gibt allerdings auch eine Konstante: Die Türkei wird über ihre Beziehungen versuchen, auch diesen Anlauf auszuhebeln.

 

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