Bundesregierung: Keine eigene Gedenkveranstaltung für die Armenier

Logo Bundesregierung großAm 9. Dezember 2014 stellten die Abgeordneten Ulla Jelpke, Christine Buchholz, Sevim Dağdelen, Inge Höger, Andrej Hunko, Dr. Alexander S. Neu, Kathrin Vogler und die Fraktion DIE LINKE die Kleine Anfrage „100. Jahrestag des Völkermordes an den Armenierinnen und Armeniern im Osmanischen Reich“ (Drucksache 18/3533).

Die Bundesregierung beantwortete sie am 13. Januar 2015 (Drucksache 18/3722). Wenige Tage später, am 21. Januar, gab der Bundestag diese aktuelle Meldung heraus:

Gedenken an das Leid der Armenier

Berlin: (hib/AHE) Die Bundesregierung prüft derzeit die Möglichkeit der Teilnahme an Gedenkveranstaltungen zum 100. Jahrestag der Massaker an den und der Vertreibungen der Armenier im Osmanischen Reich 1915 und 1916. Vertreter des Zentralrats der Armenier in Deutschland, der Deutsch-Armenischen Gesellschaft, der Diözese der Armenischen Kirche in Deutschland sowie der armenischen Regierung hätten die Bundesregierung über geplante Veranstaltungen im Gedenkjahr 2015 informiert und den Wunsch nach einer Teilnahme der Bundesregierung geäußert, heißt es in ihrer Antwort (18/3722) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke (18/3533). Man verfolge zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch keine Planungen für eine eigene Gedenkveranstaltung.

Die Bundesregierung begrüße alle Initiativen, „die der weiteren Aufarbeitung der geschichtlichen Ereignisse von 1915/1916 dienen“ und sei der Auffassung, dass die Aufarbeitung der Massaker und Vertreibungen in erster Linie Sache der beiden betroffenen Länder Türkei und Armenien ist. „Vor diesem Hintergrund zollt die Bundesregierung sowohl der türkischen als auch der armenischen Seite Respekt für die mutigen Schritte, die sie bereits zur Normalisierung ihrer bilateralen Beziehungen unternommen haben“. Man ermutige beide Seiten regelmäßig, den laufenden Annäherungsprozess, der auch die Bildung einer Historikerkommission einschließe, beharrlich fortzusetzen.

Zur völkerrechtlichen Bewertung und zur Frage, ob es sich bei den Ereignissen um einen Völkermord gehandelt habe, verweist die Bundesregierung auf die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes von 1948, die 1951 in Kraft getreten sei. „Für die Bundesrepublik Deutschland ist sie seit dem 22. Februar 1955 in Kraft. Sie gilt nicht rückwirkend.“

Kommentar

Eine Klarstellung vorweg:  Die Bundesregierung ist eine der fünf ständigen Verfassungsorgane der Bundesrepublik Deutschland (Deutscher Bundestag, Bundesrat, Bundespräsident, Bundesregierung, Bundesverfassungsgericht). Und: Soweit dem Verfasser bekannt haben armenische und armeniernahe Organisationen aus Deutschland sich nicht an die Bundesregierung gewandt und sie gebeten, eine eigene Gedenkveranstaltung zu organisieren.

Sprachlich wie inhaltlich ist die im Namen der Bundesregierung formulierte Antwort des Auswärtigen Amtes auf die Kleine Anfrage enttäuschend.

So wird die deutsche Rolle bei den „Massakern und Vertreibungen von 1915/16“ zwar benannt, bleibt aber hinter den Formulierungen sowohl bei der Plenardebatte des Deutschen Bundestags vom 21. April 2005 als auch der Resolution vom 16. Juni 2005 zurück.

Bei der Plenardebatte hatte der Abgeordnete Dr. Bergner festgestellt (Plenarprotokoll 15/172):

„Das Dilemma und die Motive der deutschen Reichsregierung damals verdeutlicht schlaglichtartig eine Notiz des Reichskanzlers Bethmann Hollweg. Er reagierte auf die dringende Forderung des deutschen Botschafters Wolff-Metternich, der türkischen Regierung wegen der Armenierverfolgung in den Arm zu fallen. Ich zitiere zunächst aus der Depesche von Wolff-Metternich:

‚Um in der Armenierfrage Erfolg zu haben, müssen wir der türkischen Regierung Furcht vor den Folgen einflößen. Wagen wir aus militärischen Gründen kein festeres Auftreten, so bleibt nichts übrig, als zuzusehen, wie unser Bundesgenosse weiter massakriert.‘

Der Reichskanzler Bethmann Hollweg dazu:

‚Die vorgeschlagene öffentliche Koramierung eines Bundesgenossen während eines laufenden Krieges wäre eine Maßregel, wie sie in der Geschichte noch nie dagewesen ist. Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig ob darüber Armenier zugrunde gehen oder nicht.‘

Das war die Haltung des Deutschen Reiches 1915/16. Beherrscht von der Logik eines die europäischen Völker zermalmenden Krieges machte sich Deutschland einer Haltung schuldig, die wohl als unterlassene Hilfeleistung gegenüber dem von Vernichtung bedrohten armenischen Volk bezeichnet werden muss.“

Überaus problematisch ist die Antwort der Bundesregierung auf die Frage:

„Vertritt die Bundesregierung die Auffassung, dass es sich bei den Deportationen und Vertreibungen der Armenierinnen und Armenier 1915/16 um einen Völkermord im Sinne der UN-Konvention von 1948 handelt?“

Sie sagt: Die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes vom 9. Dezember 1948 sei am 12. Januar 1951 in Kraft getreten. Für die Bundesrepublik Deutschland sei sie seit dem 22. Februar 1955 in Kraft. Sie gelte nicht rückwirkend.

Formaljuristisch mag das in Ordnung sein, mehr aber nicht. Das hat die Bundestagsabgeordneten bei der Plenardebatte vom 21. April 2005 nicht davon abgehalten, den Begriff „Völkermord“ zu benutzen.

Zwei Beispiele:

Der Abgeordnete Markus Meckel, SPD:

„Wir erinnern und gedenken heute der Opfer des Völkermords an den Armeniern vor 90 Jahren. Wir wollen das allzu lange Schweigen, von dem eben schon die Rede war, brechen und einen Beitrag dazu leisten, den Toten ihre Ehre und ihre Würde wiederzugeben. (…) Allein aus den deutschen Akten geht klar hervor, dass das damals die Macht habende Komitee für Einheit und Fortschritt die Vernichtung der Armenier systematisch betrieb, mithilfe staatlicher Behörden und paramilitärischer Organisationen. Dass dies eine gezielte Politik war, gehört zur Definition des Begriffs ‚Völkermord‘, wie sie später in der UN-Konvention von 1948 verankert wurde.“

Der Abgeordnete Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

„Wenn ich mir die Berichte etwa der deutschen Konsuln und Botschafter nach Berlin anschaue, wenn ich mir auch die Berichte über die Sonderkriegsgerichte ab 1919 – es wurden von türkischen Richtern Urteile gesprochen – anschaue, dann komme ich persönlich zu der Auffassung, dass es keine irgendwie unglückliche Vertreibung gab, die zu negativen Ereignissen geführt hat, sondern eine kalkulierte Vertreibung mit dem Ziel, das armenische Volk zu vernichten. Deswegen erkläre ich für mich – viele Kollegen in meiner Fraktion stimmen dem zu –: Es handelte sich um einen Genozid, also um Völkermord.“

Warum der Bundestag bei der Resolution letztendlich nicht den Begriff „Völkermord“ verwenden mochte, wurde bereits am 21. April 2005 deutlich. Der Abgeordnete Dr. Bergner, CDU/CSU:

„Wir haben bei der Formulierung unseres Antrages auf die juristische Kategorisierung durch die Begriffe ‚Völkermord‘ bzw. ‚Genozid‘ bewusst verzichtet. Dieser Verzicht geschah nicht, weil wir die Ereignisse, deren wir gedenken, verharmlosen oder beschönigen wollten; dafür besteht kein Anlass. Wir möchten etwas anderes verdeutlichen. Es geht uns ausdrücklich nicht darum, die türkische Republik oder gar ihre Bevölkerung auf die Anklagebank zu setzen. Unser Antrag ist vielmehr der Versuch, die Rechtsnachfolger des Osmanischen Reiches in das einzubeziehen, was man mit Blick auf die Konflikte, Verwüstungen und Verbrechen des 20. Jahrhunderts in Europa ‚europäische Erinnerungskultur‘ nennen könnte.“

Dennoch hat der Bundestag in dem interfraktionellen Antrag „Erinnerung und Gedenken an die Vertreibungen und Massaker an den Armeniern 1915 – Deutschland muss zur Versöhnung zwischen Türken und Armeniern beitragen“ (Drucksache 15/5689) sich nicht nehmen lassen, in dessen Begründung die Formulierung

„Den Deportationen und Massenmorden fielen nach unabhängigen Berechnungen über 1 Million Armenier zum Opfer. Zahlreiche unabhängige Historiker, Parlamente und internationale Organisationen bezeichnen die Vertreibung und Vernichtung der Armenier als Völkermord“

aufzunehmen.

Zusammengefasst: Der Bundestag hat damals die Nicht-Verwendung des Begriffs „Völkermord“ nicht formaljuristisch, sondern ausschließlich politisch begründet. Die Bundesregierung hingegen versteckt sich heute hinter einem untauglichen formaljuristischen Argument.

So war die Anerkennung des Holocausts durch die Bundesrepublik zu Recht politischen Überlegungen geschuldet, nicht formaljuristischen. Diese hätte sie auch beim Völkermord an den Armeniern gelten lassen können, denn Reichskanzler Bethmann Hollwegs politische Entscheidung „Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig ob darüber Armenier zugrunde gehen oder nicht“ lässt keinen Raum für Interpretationen: Das Deutsche Reich hat die Vernichtung der Armenier billigend in Kauf genommen und somit eine politische Mitverantwortung auf sich genommen. Dieser Mitverantwortung hätte sich die Bundesregierung mit einer politischen Begründung stellen können. Dazu ist sie offenbar nicht bereit. Überhaupt hat man den Eindruck, dass sie sich mit dem „armenischen Komplex“ allenfalls  peripher und distanziert befassen möchte („Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die Aufarbeitung der Massaker und Vertreibungen in erster Linie Sache der beiden betroffenen Länder Türkei und Armenien ist“). Das hat einen schalen Beigeschmack – ganz besonders im 100. Gedenkjahr. Dabei hätte sie an der vorbildlichen Anerkennung und Verarbeitung des Holocausts anknüpfen können, wofür sie zu Recht gerühmt wird. Eine vertane Chance.

 

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