Aserbaidschan: Der weite Weg zu den Menschenrechten

Aserbaidschan rief und sie alle kamen: die Präsidentengattin Bettina Wulff, Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher, Ex-Innenminister Otto Schily und andere, insgesamt 740 Personen. Orte des Geschehens: das Deutsche Historische Museum in Berlin, Unter den Linden. Der Anlass: 20. Jahrestag der Wiederherstellung der Unabhängigkeit Aserbaidschans. Für gute Stimmung sorgte Tagesschau-Sprecher Jens Riewa.

Vermutlich hätte die weitere deutsche Öffentlichkeit von alldem nichts erfahren, wenn Welt Online darüber nicht berichtet hätte. Die Überschrift „Aserbaidschan in Berlin: Postkartenidyll mit Menschenrechtsverletzern“ dürfte bei der Ausrichterin Heydar-Aliyev-Stiftung und denen, die ihr hierzulande aus sehr handfesten Gründen nahe stehen, kaum für Begeisterung gesorgt haben.

Freilich fanden etliche die Feier für deplatziert, darunter die Grünen-Abgeordnete Viola von Cramon. Zu der Teilnahme der bundesdeutschen Prominenz hatte sie eine sehr deutliche Meinung: „In Aserbaidschan werden derzeit jegliche Fortschritte, die bei den Menschenrechten gemacht worden waren, zurückgedreht. Dass sich Frau Wulff von der staatsnahen Stiftung instrumentalisieren lässt, halte ich für ein falsches Signal.“

Ebenfalls eine sehr deutliche Meinung hatte Markus Löning, der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung. Er wäre selbst im Falle einer Einladung nicht hingegangen. „Große Teile der Opposition sitzen im Gefängnis, Journalisten und Blogger werden unter Druck gesetzt und keine der Wahlen in den letzten zehn Jahren wurde von internationalen Beobachtern als frei eingestuft“, stellte der Menschenrechtsbeauftragte fest. Markus Löning kennt das Land aus eigener Anschauung. Er war auch im September 2011 in Baku und hat sich dort mit Elchin Behbudov, Vorsitzender von Azerbaijan Committee against Torture, und Elchin Abdullayev, Vorsitzender von Democratic Institutions and Human Rights Social Union, getroffen und sich informiert. Den aktuellen Bericht der letzgenannten Organisation findet man hier.

Überhaupt wird in letzter Zeit in den westlichen Medien viel und sehr kritisch über die Lage der Menschenrechte in Aserbaidschan berichtet. So strahlte der deutsch-französische Fernsehkanal ARTE am 14. November den Beitrag „Aserbaidschan: Den Diktator bloggen“. Es geht um Elnur Majidli, einen jungen Aserbaidschaner, der in Frankreich studiert und von dort aus gegen den Diktator seines Vaterlandes kämpft. In seinem Internet-Blog rief er von Paris aus zum Widerstand auf, zu Demonstrationen gegen das Regime in Aserbaidschan. Daraufhin verlangte der aserbaidschanische Innenminister ganz offiziell von Interpol, nach Majidli zu fahnden und ihn nach Aserbaidschan auszuliefern: wegen Aufrufs zum Umsturz. Natürlich fahndete Interpol nicht nach dem Dissidenten in Paris. Sollte Elnur Majidli in sein Heimatland zurückkehren, dann drohen ihm bis zu 12 Jahre Haft.

Ein anderes, weniger glücklich ausgegangenes Beispiel: Jabbar Savalan hatte Anfang Januar 2011 aus einer türkischen Zeitung einen Beitrag übernommen und diesen auf Facebook weitergeleitet. Im Beitrag wurde Ilham Alijew als „korrupt“ und „Glücksspieler“ bezeichnet. Kurze Zeit danach wurde er verhaftet. Die Polizei behauptete, sie habe bei ihm Drogen gefunden. Ein Gericht verurteilte ihn zu zweieinhalb Jahren Haft, weil er angeblich Drogen für den eigenen Bedarf bei sich gehabt habe, sämtliche Blutuntersuchungen hingegen konnten nicht die Spur von Drogen bei Jabbar nachweisen. (Video)

Vielleicht das im westlichen Ausland bekannteste Beispiel: Der Journalist Eynulla Fatullayev kam Ende Mai 2011 nach vier Jahren Haft frei.

In einer Erklärung vom 26. Mai 2011 schrieb Amnesty International, Eynulla Fatullayev sei zunächst verurteilt worden, nachdem er zwei Artikel geschrieben habe, in denen er die offizielle aserbaidschanische Darstellung der Tötung von Zivilisten in Chodschali angezweifelt habe.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hatte in 2010 seine umgehende Freilassung gefordert, ohne jeden Erfolg. Wachsender internationaler Druck, unter anderem massenhaft gesendete Twitter-Nachrichten an Präsident Alijew, brachte wohl die Wende.

Die International Federation for Human Rights (FIDH) machte am 24.10.2011 auf den wachsenden Druck, dem Rechtsanwälte ausgesetzt sind, aufmerksam. So wurde Elchin Namazov von der Rechtsanwaltskammer ausgeschlossen, weil er Oppositionelle verteidigt hatte, so auch den Journalisten Ramin Baymarov, den Blogger Bakhtiyar Hajiyev und den jungen Aktivisten Rufat Hajibeyli. Einem anderen Rechtsanwalt wurde am 24. August 2011 seine Lizenz für ein Jahr entzogen, weil er eine Untersuchung beantragt hatte. Sein Mandant, Elvin Askerov, ein junger Aktivist, war am 13. Januar 2011 unter ungeklärten Umständen in Polizeigewahrsam gestorben. In Abständen bekommen Menschenrechtsvertreter Berichte über Folter in Polizeigewahrsam. So war Turac Zeynalov am 29. August 2011 verhaftet worden, weil er Spionage betrieben haben soll. Am nächsten Tag fand man ihn tot auf. Mitarbeiter des Ministeriums für Nationale Sicherheit behaupteten, er sei an Krebs gestorben.

Die internationalen Menschenrechtsorganisationen sind wiederholt auf die Missstände in Aserbaidschan eingegangen. Einige ihrer Stellungnahmen der letzten Zeit können auf der Webseite der DAG eingesehen werden.

Mitte November 2011 hat sich Amnesty International zu Wort gemeldet, zunächst mit einer Presseerklärung („International community must act on Azerbaijan crackdown“) und mit dem ausführlichen Bericht „Azerbaijan: The spring that never blossomed: Freedoms suppressed in Azerbaijan“.

Auch Institutionen wie der Europarat und seine Parlamentarische Versammlung PACE beobachten die besorgniserregende Entwicklung in Aserbaidschan. Etliche Dokumente, die PACE verabschiedet hat, gehen darauf ein. Stellvertretend für viele sei „The functioning of democratic institutions in Azerbaijan“ vom 6.6.2008 genannt (Doc. 11627).

Seither haben sich die Beziehungen zwischen PACE und Aserbaidschan deutlich zugespitzt. Dem Sonderberichterstatter von PACE für politische Gefangene in Aserbaidschan, der Bundestagsabgeordnete Christoph Strässer (SPD), verweigert Baku beharrlich der Einreise – ein unerhörter Vorgang.

Den Mitgliedern des Bundestagsausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ging das offenbar zu weit. So verabschiedeten sie am 9. November 2011 mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke folgende Entschließung:

„Aserbaidschan ist seit 2001 Mitglied im Europarat und hat im April 2002 die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet und sich damit den darin enthaltenen menschenrechtlichen Standards verpflichtet. Diese Verbindlichkeit hat sich Aserbaidschan selbst auferlegt und an diesen Verpflichtungen muss es sich auch messen lassen.

Im März 2009 setzte die Parlamentarische Versammlung des Europarates Christoph Strässer als Sonderberichterstatter für politische Gefangene in Aserbaidschan ein. Hieraus folgt, dass der Sonderberichterstatter ungehinderten Zugang zu den Hafteinrichtungen in Aserbaidschan haben muss. Trotz mehrmaliger Aufforderungen hat sich Aserbaidschan geweigert, dem Sonderberichterstatter ein Visum zur Einreise nach Aserbaidschan auszustellen.

Nachdem vor wenigen Wochen entsprechend einem aus Baku geäußerten Wunsch die Beschränkung des Mandates allein auf politische Gefangene in Aserbaidschan fallen gelassen wurde, hat Aserbaidschan dem Sonderberichterstatter für politische Gefangene dennoch kein Visum ausgestellt, so dass eine Reise abermals ab-gesagt werden musste.

Zugleich gibt die Situation der politischen Gefangenen in Aserbaidschan Anlass zur Sorge. Oppositionelle, Journalisten und Blogger werden eingeschüchtert und eingesperrt. Deshalb ist es unerlässlich, dass der Europarat sich durch den Sonderberichterstatter ein eigenes Bild machen kann, inwieweit die Standards der Europäischen Menschenrechtskonvention in Aserbaidschan eingehalten werden.

Der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

  • erwartet von allen Mitgliedern des Europarates einschließlich Aserbaidschans die Einhaltung der mit dem Beitritt zum Europarat übernommenen Verpflichtungen einschließlich der Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit den mandatierten Berichterstattern,
  • fordert die Parlamentarische Versammlung des Europarates auf, gegenüber Aserbaidschan darauf hinzuwirken, dem Sonderberichterstatter des Europarates für politische Gefangene, Christoph Strässer, unverzüglich die Einreise nach Aserbaidschan zu bewilligen und ihm alle zur Erfüllung seines Mandates notwendige Unterstützung zu leisten,
  • fordert die Parlamentarische Versammlung des Europarates auf, gegenüber Aserbaidschan darauf hinzuwirken, sich an die selbst auferlegten Standards als Mitglied des Europarates zu halten und umfassende Maßnahmen zur Einhaltung der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten einzuleiten,
  • begrüßt die Bemühungen der Bundesregierung, gegenüber Aserbaidschan auf die Einhaltung menschenrechtlicher Standards zu drängen.“

Wie wir vom Büro des Abgeordneten Strässer am 29.11.2011 auf Anfrage erfahren haben, wird im Januar entschieden, wie endgültig zu verfahren sein wird.

Wie reagiert das offizielle Aserbaidschan auf die Kritik? Als die US-amerikanische Organisation Freedom House Aserbaidschan als „nicht frei“ bewertete, war man in Baku sehr schnell mit der Feststellung, dies diene armenischen Interessen (IWPR, 1.2.2011).

Einer der von WikiLeaks veröffentlichten Botschaftsberichte vom Januar 2008 wirft ein bezeichnendes Licht auf die aserbaidschanische Führung. Bei einem Treffen mit Ilham Alijew schnitt die damalige stellvertretende Energieministerin Norwegens Menschenrechtsfragen an. Daraufhin Alijew: Norwegen habe kein Recht, ihn zu belehren. Allenfalls die USA als die einzige Supermacht könnten so mit ihm sprechen. Die norwegische Fa. Statoil werde den Vertrag nicht bekommen, so Alijew.

Zurück nach Berlin: Bei der Feier spendete Aserbaidschan 50.000 EUR für den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses. „Mit solchen Spenden, Abgeordnetenreisen und dem Anwerben ehemaliger Bundestagsabgeordneten sichert sich die aserbaidschanische Regierung eine starke Lobby in Deutschland. Es gibt zahlreiche staatsnahe Organisationen, die in Europa für ihr Land werben“, schreibt Welt Online. Und Markus Löning, der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung ergänzt: „Die [aserbaidschanische] Regierung betreibt eine sehr gezielte und sehr professionelle Lobbypolitik, das sollte man sich bei solchen Veranstaltungen bewusst machen.“

Offenbar haben einige in Berlin keine Probleme damit, einem Diktator mit einer miserablen Menschenrechtsbilanz  zu Diensten zu sein.

Übrigens: The Guardian berichtete am 5.10.2011, der britische Abgeordnete Mark Field, er sitzt im Geheimdienstausschuss, stehe auf der Gehaltliste der aserbaidschanischen Lobbygruppe European Azerbaijan Society. Offenbar macht das Modell Schule.

Siehe auch unsere Seite zu den Menschenrechten in Aserbaidschan.

 

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