Die Türkei & der armenische Genozid: Vor einem Paradigmenwechsel?

Die UNO führte in 2005 den 27. Januar als „Holocaust Remembrance Day“ ein. Bereits seit 1996 wird in der Bundesrepublik Deutschland der „Tag des Gedenkens an die Opfer lässt nationales Nationalsozialismus“ begangen. Den Grundstein für diese Erinnerungskultur legte das israelische Parlament, der Knesset, mit seiner Entschließung vom April 1951.

Erstmalig wurde dieser Tag in der Türkei am 27. Januar 2011 in der Istanbuler Synagoge NeveSchalom begangen. Das Besondere : Namhafte türkische Politiker, darunter der Gouverneur von Istanbul, nahmen erstmalig daran teil. Andere, wie der Parlamentspräsident, schickten Grußworte. Ebenfalls erstmalig besuchte ein türkischer Minister, der für die Verhandlungen mit der EU zuständige Staatminister Egemen Bağış, das Konzentrationslager Auschwitz – immerhin 66 Jahre nach der Befreiung dieses Vernichtungslagers durch sowjetische Truppen.

Man liegt vermutlich nicht ganz falsch, wenn man annimmt, dass die erste Wahrnehmung des Holocausts unter Teilnahme der offiziellen Vertreter der Türkei ein Versuch zur Verbesserung der reichlich lädierten türkisch-israelischen Beziehungen war.

Wenige Tage danach, am 7. Februar 2011, publizierte die türkische Tageszeitung Sabah einen Kurzbericht, der wie folgt betitelt war: „Nach der jüdischen Öffnung nun die armenische Öffnung“. Unmittelbar danach kursierten erste Berichte in den armenischen Medien, die, wenn auch in Frageform, die mögliche Teilnahme türkischer Repräsentanten am Genozid Gedenktag, am 24. April also, in den Raum stellten.

Als Grundlage für diese Annahme dient die folgende Passage aus der Sabah: „Ähnlich [wie beim jüdischen Gedenktag] hat man [die staatlichen Vertreter] angewiesen, angesichts des herannahenden 24. April an den Aktivitäten der Armenier aktiv teilzunehmen. So wurde in der Dezember-Sitzung des türkischen Nationalen Sicherheitsrates MGK beschlossen, die Kontakte zu den armenischen Diaspora zu intensivieren, insbesondere Kontakte zu der armenischen Lobby in den USA herzustellen und an den Empfängen der armenischen Diaspora teilzunehmen.“

Ob mit der Formulierung „Aktivitäten der Armenier“ auch der Gedenktag 24. April gemeint ist, ist eine Interpretationssache. Neu ist hingegen die Formulierung“ die Kontakte zur armenischen Diaspora intensivieren“ keineswegs. Sie ist Teil von Ankaras Aktionsplan gegen die armenische Diaspora. Diese ist seit April 2010 bekannt und auf dieser Webseite publiziert.

Die Stoßrichtung dieser öffentlichkeitswirksamen Annonce scheint vielmehr die Verhinderung einer Genozidsresolution im amerikanischen Kongress zu sein, die größte türkische Sorge. Das wird im Sabah-Bericht angedeutet. Zur Erinnerung: Unmittelbar nach Unterzeichnung der armenisch-türkischen Protokolle im Oktober 2009 hatte eine hochkarätige Runde bestehend aus sechs ehemaligen türkischen Außenministern auf dem türkischen Fernsehkanal Kanal D einvernehmlich folgendes festgestellt: „Auch ich weiß, dass diese [Historikerkommission] zu nichts führen wird … Das dauert Jahre … Wenn wir zwischenzeitlich mit einer Genozid-Behauptung konfrontiert werden, werden wir ‚Warten wir mal ab, die Historiker arbeiten daran’ sagen. Der eigentliche Nutzen [der Historikerkommission] besteht darin, dass dies die Methode ist, mit der die Verabschiedung [einer Genozidresolution] durch den Amerikanischen Kongress unterbunden werden wird“, so einer der Teilnehmer.

Hinzu kommt, dass die Türkei ihre Sicht der Vorgänge von 1915 nicht revidiert hat, wie man das auf der Webseite des türkischen Außenministeriums feststellen kann. Auch finanziert die türkische Regierung nach wie vor Vorträge von Justin McCarthy, ein bekannter Vertreter der staatlichen türkischen Sicht, so geschehen Anfang Februar 2011 an der London School of Economics (LSE). Eingeladen worden war Justin McCarthy vom Lehrstuhl „Contemporary Turkish Studies“. Dieser besteht seit Oktober 2005 und ist Teil des European Institute an der LSE. Finanziert wird der Lehrstuhl von der türkischen Regierung, der Türkischen Zentralbank, der Türkischen Union der Handelskammer und Börsen (TOBB), der Aydın Doğan-Stiftung und dem Akfen-Holding. In der Ankündigung des Vortrags “Prejudice, Deception, and the Armenian Question” von Justin McCarthy ist zu lesen: „For those who study the troubled history of relations between Turks and Armenians, the question naturally arises, ‘How could so many have been so wrong?’ Why did Europeans and Americans at the time, and still today, believe a story of persecution that is demonstrably wrong? The answer lies in ignorance, prejudice, and deception. Ignorance made politicians and editors, then and today, believe whatever fit their prejudices. And prejudice caused them to ignore the facts before them. Instead, they accepted the often deliberate falsehoods spread by Armenian rebels and their supporters. This presentation offers examples of the deceptions that lie behind what is commonly believed of the Armenian Question.”

Auch setzt die Türkische Historische Gesellschaft (TTK) – eine staatliche Institution und staatlich finanziert – ihre bisherige Linie fort, die darin besteht, die armenischen Positionen zu konterkarieren, nachzulesen auf ihrer Webseite. Eine selbstkritische Linie sucht man dort vergeblich.

All das ist sehr alter Wein in sehr alten Schläuchen.

Es wäre begrüßenswert, wenn die Türkei ihre Positionen tatsächlich überdenken würde. Das wäre ein konstruktiver Beitrag für den überfälligen armenisch-türkischen Ausgleich. Vor diesem Hintergrund hat die Teilnahme an armenischen Veranstaltungen durchsichtige Motive und ist allenfalls Augenwischerei.

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