Entwurf für einen Gruppenantrag

(Uwe Hiksch, 14. Wahlperiode)

Antrag

der Abgeordneten Uwe Hiksch, …

Genozid an Armeniern anerkennen!


Der Bundestag wolle beschließen:

  1. Die Bundesrepublik Deutschland anerkennt den Genozid an den Armeniern im Osmanischen Sultanat (Memalik i Osmanije) in den Jahren 1915 und 1916. Dieser stellt einen Genozid entsprechend der Völkermordkonvention der Vereinten Nationen dar. Der Deutsche Bundestag folgt damit entsprechenden Resolutionen des Europarates von 1998 und verschiedener europäischer Parlamente u. a. des Schwedischen Reichstages, des Belgischen Parlamentes und zuletzt der Französischen Nationalversammlung.
  2. Der Deutsche Bundestag bekennt sich zur Mitverantwortung des Deutschen Reiches am Genozid an den Armeniern. Der Deutsche Bundestag entschuldigt sich öffentlich für die Unterstützung und wissentliche Duldung des Genozides durch die damaligen Regierungsbeamten und Offiziere des Deutschen Kaiserreiches.
  3. Der Deutsche Bundestag appelliert an alle Mitglieder der Europäischen Union, sich mit ihrer kolonialen Geschichte und der daraus erwachsenden Verantwortung auseinanderzusetzen. Es gibt in allen fast allen Staaten der EU eine vorhandene Selbstbeschränkung die koloniale Geschichte Europas aufzuarbeiten und Entschuldigungen und Wiedergutmachungen gegenüber den Betroffenen und deren Nachfahren auf den Weg zu bringen. Es ist gerade Aufgabe der Mitglieder der Europäischen Union durch deutliche Schritte sich bei den verfolgten Bevölkerungsgruppen zu entschuldigen und durch einen mutigen Schritt der Aufarbeitung von kolonialer Vergangenheit ein Zeichen hin zu einem verantwortungsvollen Umgang mit der eigenen Geschichte zu setzen.
  4. Der Deutsche Bundestag nimmt mit Sorge die unangemessenen Reaktionen der türkischen Regierung und eines Teiles der türkischen Presse zur Kenntnis, die sich durch den Beschluss der Französischen Nationalversammlung ergeben haben. Es ist nach Überzeugung des Deutschen Bundestages ein nicht zu akzeptierender Schritt, die Handelsbeziehungen mit Frankreich in Folge dieses Beschlusses zu boykottieren.
  5. Der Deutsche Bundestag appelliert an die türkische Regierung und die Große Türkische Nationalversammlung in Anlehnung an den Beschluß des Europäischen Parlamentes vom 14. November 2000, der in der Türkei lebenden armenischen Minderheit vor allem durch das öffentliche Eingeständnis des Völkermordes vor der Gründung des modernen Staates Türkei, Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen.
  6. Die Beschlußfassung erfolgt in Übereinstimmung mit Forderungen, die das Europäische Parlament der Republik Türkei in seiner „Resolution zur politischen Lösung der armenischen Frage“ (18. Juni 1987) sowie in seiner Resolution vom 14. November 2000 (Dokument A5-0297/2000) an die Aufnahme der Türkei in die Europäische Union geknüpft hat. Dazu gehört die öffentliche Anerkennung der historischen Tatsache des Völkermords an der armenischen Bevölkerung des Osmanischen Reiches.
  7. Der Bundestag fordert die Bundesregierung auf, sich auf diplomatischem Wege dafür einzusetzen, dass die strafrechtliche Verfolgung von Bürgerinnen und Bürgern in der Türkei, die öffentlich in Wort oder Schrift an den Völkermord erinnert haben, eingestellt wird.
  8. Der Bundestag fordert die Bundesregierung auf, entsprechend der Kopenhagener Kriterien, die Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern, zu einem der Prüfsteine für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu machen.

Berlin, den

UNTERSCHRIFTEN


BegründungDer Völkermord an den armenischen Bürgern des Osmanischen Sultanats war der Höhepunkt des Vernichtungs- und Vertreibungsprogramms der im Ersten Weltkrieg alleinregierenden nationalistischen Partei „Einheit und Fortschritt“ („Jungtürken“). Ihre Politik der ethnischen Homogenisierung richtete sich in der Tendenz gegen alle nicht-türkischen Ethnien.

Die Beschlußfassung erfolgt in Kenntnis der Tragweite der zahlreichen, im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes einzusehenden Berichte der im Osmanischen Sultanat tätigen Konsuln und Botschafter des Deutschen Kaiserreichs. In diesen Aktenstücken heißt es ausdrücklich, daß die osmanische „Regierung tatsächlich den Zweck verfolgt, die armenische Rasse im türkischen Reiche zu vernichten“ (Botschafter Wangenheim an den Reichskanzler, 7. Juli 1915). Die Gesamtzahl armenischer Opfer wurde von der Kaiserlichen Deutschen Botschaft am 4. Oktober 1916 auf anderthalb Millionen geschätzt.

Deutschland trifft zwar nicht die Schuld an der Urheberschaft des Völkermordes, wohl aber die Schuld stillschweigender Duldung und teilweisen Einverständnisses, zumindest bei den Verantwortlichen im Auswärtigen Amt in Berlin während des Kaiserreiches und auch in der Weimarer Republik. Bei allen Protesten, die die deutsche Botschaft während des Ersten Weltkrieges bei der osmanischen Regierung einlegte, wurde immer darauf geachtet, nicht das deutsch-osmanische Bündnis zu gefährden. Auf Boykotte wurde deshalb auch verzichtet. An einigen osmanischen Militäraktionen waren deutsche Offiziere direkt beteiligt. Während des Ersten Weltkrieges waren durch die Pressezensur alle Bericht über die Verfolgungen an den Armeniern verboten. Wesentliche Informationen über die deutsche Mittäterschaft wurden auch nach dem Krieg vom Auswärtigen Amt nicht veröffentlicht.

Der Bundestag will mit seiner Beschlußfassung jene Wissenschaftler, Publizisten, Menschen- und Bürgerrechtler in und aus der Türkei ermutigen sowie moralisch unterstützen, die bereits den Völkermord an den Armeniern verurteilt haben. Mit Bedauern nimmt der Bundestag zur Kenntnis, dass türkische Staatsbürger für das bloße öffentliche Aussprechen historischer Tatsachen noch immer strafrechtlich verfolgt werden, wie derzeit der ehemalige Vorsitzende des türkischen Menschenrechtsvereins (IHD), Akin Birdal, und der Pfarrer Yusuf Akbulut von der syrisch-orthodoxen Gemeinde in der Türkei.

 

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