Hat die Berliner Zeitung viel Verständnis für Autokraten? Auch für Ilham Aliyev?

Von Raffi Kantian

Im September 2019 übernahm der Ost-Berliner Softwaremillionär Holger Friedrich mit seiner Frau Silke die Berliner Zeitung. Das ist nicht weiter aufregend. Die weitere Entwicklung schon. Stefan Kuzmany berichtete am 28. September 2024 ausführlich darüber (Der Spiegel, Heft 40, S. 110-114). O-Ton Kuzmany: „Friedrichs Strategie scheint eine Blaupause für den späteren Einmarsch Elon Musks bei Twitter gewesen zu sein: alles anders, alles neu, und zwar sofort. Das Sagen hat der Eigentümer.“ Der damalige ukrainische Botschafter in Berlin, Oleksij Makejew listete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Blatts auf, die vorher bei russischen Propagandamedien wie RT (Russia Today), Ruptly oder RIA Novosti waren und folgerte, dass es kein Wunder sei, dass Verleger Friedrich im Mai 2023 zum Jahrestag des Sieges über die Nationalsozialisten zu Gast in der russischen Botschaft war.

Bekannt ist auch, dass Holger Friedrich als Podiumsgast zu Kongressen nach China und Aserbaidschan eingeladen wird. Darüber schreibt er auch Artikel, die „Sympathie und Bewunderung“ erkennen lassen. Dazu passend wählte Kuzmany für seinen Spiegel-Artikel den Untertitel „Seit der Ost-Berliner Softwaremillionär Holger Friedrich … die Berliner Zeitung übernommen hat, herrscht dort viel Verständnis für Autokraten. Von der Ukraine sieht man sich bedroht.“

Der „besorgte“ Autor Thomas Fasbender

Die Präsentation des Tagungsbandes „Das kulturelle Erbe von Arzach“ am 6. März 2024 in der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) war in jeder Hinsicht sehr problematisch.

Die Debatte um die Berliner Zeitung war für uns Grund genug, um ihre Berichterstattung darüber genauer unter die Lupe zu nehmen. Der Autor Thomas Fasbender wählte für seinen am 16. März 2024 erschienenen Artikel die Überschrift „Debakel mit Ansage: Denkfabrik DGAP blamiert sich mit proarmenischer Veranstaltung“, Link: https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/geopolitik/denkfabrik-dgap-blamiert-sich-mit-proarmenischer-veranstaltung-debakel-mit-ansage-li.2196614

Fasbender ist sehr mitfühlend mit Aserbaidschenern. „Schon die Einladung erzeugt Protest in Aserbaidschan“, schreibt er gleich zu Beginn. Und für ihn steht fest, dass es sich um eine „proarmenische Veranstaltung“ gehandelt hat.

Dass im Vorfeld der Präsentation massive Drohungen von Aserbaidschanern / aus Aserbaidschan gab, hat Stefan Meister von der DGAP beim ausführlichen Interview vom 12. März 2024 mit civilnet.am ausführlich dargelegt. Link: https://www.civilnet.am/en/news/767628/germanys-growing-role-in-the-armenia-azerbaijan-conflict/ Aber Fasbender setzt das Wort Bedrohungslage in Anführungszeichen, so als wäre das ein Produkt der Einbildung.

Bei ihm sind selbst die aggressiven Schreiben der aserbaidschanischen GONGOs aus Baku in Anführungszeichen gesetzt, als wären auch diese frei erfunden. Dabei haben aserbaidschanische Medien deren Schreiben publiziert. Wenn man sich die Mühe macht, findet man ein solches im Netz. Link: https://azertag.az/de/xeber/offener_brief_aserbaidschanischer_nichtregierungsorganisation_an_die_vorstande_der_deutschen_gesellschaft_fur_auswartige_politik_und_der_konrad_adenauer_stiftung-2939677 Auch die starke Vermutung, die Aktion sei offensichtlich von der aserbaidschanischen Botschaft in Berlin orchestriert, zieht Fasbender in Zweifel, in dem auch diese Passage in Anführungszeichen setzt. Dabei hat Botschafter Nasimi Aghayev ganz andere Dinge hingekriegt. Wie gesagt, Recherche ist nicht Fasbenders Sache und auch nicht Intention: Im Kern geht es ihm darum, dass der Tagungsband hier nicht vorgestellt werden sollte, zumindest nicht bei der DGAP. Halten wir fest: Der Tagungsband ist eine wissenschaftliche Studie und keine armenische Propaganda. Denn darin wird – unabhängig davon, wem das Gebiet heute völkerrechtlich gehört – die über 2000-jährige Kulturgeschichte jener Region vorgestellt. Ist das armenische Propaganda?

Fasbender mimt des besorgten Bürger. Eine solche Veranstaltung würde – ich interpretiere frei – die Vermittlerrolle Deutschlands beim armenisch-aserbaidschanischen Konflikt beschädigen. Wahrscheinlich hat Fasbender nicht mitbekommen, dass an der Humboldt Universität 10 Jahre lang lupenreine aserbaidschanische Positionen vorgetragen und von Baku finanziert wurden.

Aber die Berliner Zeitung bringt noch ganz andere Dinge. Am 21. Juli 2024 berichtete Holger Friedrich höchstpersönlich von der Shusha Global Media Forum, an dem er offensichtlich teilgenommen hatte. Die Einladung ging von Präsident Ilham Aliyev aus.

Friedrich schreibt, beim Media Forum sei es um globale Konflikte und wie man sich den Konflikten stellt gegangen. Link: https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/geopolitik/shusha-global-media-forum-in-aserbaidschan-moeglichkeiten-des-austauschs-li.2237216

Konflikten kann man sich nur im freien Diskurs stellen. Im Aliyevs Aserbaidschan ist das unmöglich. Diese Binsenweisheit sollte auch Friedrich bekannt sein und wenn nicht, sollte er das Gespräch mit den vielen Journalisten und Vertretern der Zivilgesellschaft suchen, die ihr Leben in den Kerkern Bakus fristen. Aber das stört Friedrich offenbar nicht weiter und er legitimiert allein durch seine Teilnahme Aliyevs Propagandaveranstaltung. Der Spiegel attestierte ihm „viel Verständnis für Autokraten“, offenbar hat er auch viel Verständnis für Ilham Aliyev.

Die FAZ, die sich an der von Spiegel angestoßene Debatte angeschlossen hat, schreibt: „Bei der Berliner Zeitung ist eine Diskursverschiebung und Faktenzersetzung im Gange, die sich gewaschen hat“ und schließt mit dem Satz: „Und in Berlin erscheint die neue Prawda.“ Link: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/berliner-zeitung-verkraftet-kritik-im-spiegel-nicht-110021155.html; https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/spiegel-weist-vorwuerfe-der-berliner-zeitung-zurueck-110046227.html

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