Armenier verklagen die Türkei

Ende Juli 2010 reichten die Rechtsanwälte Mark Geragos und Brian Kabateck in Los Angeles im Namen von Garbis Davoyan aus Glendale, Kalifornien, und Hrayr Turabian aus Queens, New York Klage gegen die Republik Türkei, die Türkische Zentralbank und die türkische Ziraat Bankasi (Landwirtschaftsbank) ein. Diesen wird vorgeworfen, die staatliche Treuhand verletzt, sich ungerechtfertigt bereichert, Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen das Völkerrecht bei der Vertreibung und Vernichtung der Armenier in 1915 begangen zu haben, bei der ihr bewegliches wie unbewegliches Eigentum beschlagnahmt wurde.

Warum gegen die beiden Banken geklagt wird liegt vermutlich daran, dass die Erstgenannte nach ihrer Gründung im Jahre 1931 die Zentralbankfunktionen von der 1856 mit britischem und französischem Kapital etablierten Banque Ottoman übernahm, während die Ziraat Bankasi seit 1863 ununterbrochen tätig ist. Beide Banken sind in den USA vertreten.

Offenbar gehen Geragos und Kabateck davon aus, dass weitere Nachfahren von Überlebenden sich den beiden Klägern anschließen werden und daraus eine Sammelklage wird.

Bereits 2006 kündigten Mark Geragos, Brian Kabateck und Vartkes Yeghiayan eine Sammelklage gegen die Deutsche und Dresdner Bank an, bei der es um die Guthaben der Völkermordopfer bei den beiden deutschen Banken ging. Sie waren auch 2007 zu vertraulichen Verhandlungen in Deutschland, über die wir in  ADK 137 berichtet haben.

Zuvor waren die Versicherungen New York Life Insurance AXA im Focus, dabei ging es um die Versicherungspolicen, die Armenier seinerzeit bei diesen abgeschlossen hatten. Hrayr S. Karagueuzians und Yair Aurons Buch „A Perfect Injustice. Genocide and Theft of Armenian Wealth“ geht auf diesen Aspekt ein (s. unsere Besprechnug).

Der zusammenfassende Artikel von Prof. Dickran Kouymjian „When Does Genocide End? The Armenian Case“ leuchtet den allgemeinen Hintergrund dieser Klagen knapp aus. Kevork Baghdjians Studie „The Confiscation of Armenian Properties by the Turkish Government said to be abandoned“, Antelias-Libanon, 2010, ist ungleich umfassender.

Eine erste türkische Reaktion zu der aktuellen Klage brachte Habertürk am 9. August 2010. Darin wird vermutet, dass die Armenier u. a. die folgenden, für die Türken sehr symbolträchtigen Objekte zurückbekommen wollen. Da ist zum einen das Gebäude der Sanasaryan-Schule in Erzurum, wo im Juli 1919 die erste Konferenz der türkischen Nationalisten unter Mustafa Kemal stattfand – sie war der Startschuss für den späteren „İstiklal Savaşı“ („Unabhängigkeitskrieg“). Das Gebäude wird heute als Museum genutzt. Dann ist noch der Çankaya Köşkü, der Sitz des türkischen Präsidenten in Ankara, dessen Grundstück ursprünglich einem Armenier gehörte. In einem Interview, das in Los Angeles Times erschienen ist, findet Mark Geragos deutliche Worte, warum es zu dieser Klage gekommen ist.

Zu der „Öffnung“ in der Türkei gehört auch, dass die „Türkisierung“ des armenischen Eigentums nunmehr thematisiert wird. Erinnert sei an Neşe Düzels Interview mit Hrant Dink aus dem Jahre 2005. Auffallend ist jedoch, dass dort eher Publizisten wie Sait Çetinoğlu und Nevzat Onaran sich an dieses brisante Thema heranwagen. Unbedingt zu erwähnen ist Onarans umfassendes Buch „Emvâl-i Metrûke Olayı. Osmanlı‘da ve Cumhuriyette Ermeni ve Rum Mallarının Türkleştirilmesi“ („Das Phänomen des Eigentums, dessen Besitzer verschwunden sind. Die Türkisierung des armenischen und griechischen Eigentums unter den Osmanen und während der Republikzeit“), Belge Verlag, 2010.

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