Uwe Hiksch, MdB Anschreiben an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages

Uwe Hiksch
Mitglied des Deutschen Bundestages
(PDS)
europapolitischer Sprecher

An die Abgeordneten des Deutschen Bundestages

Berlin, den 31. Mai 2001
Sehr geehrte Kollegin, sehr geehrter Kollege,

dem Deutschen Bundestag liegt gegenwärtig eine Petition vor, die uns Abgeordnete auffordert, den Genozid von 1915 an den Armeniern anzuerkennen. Diese Petition wurde von 16.000 Menschen, die meisten von ihnen in Deutschland lebende Staatsbürger der Türkei, unterstützt. Mein Anliegen ist es, diese Petition und das darin zum Ausdruck kommende Anliegen zu unterstützen und eine öffentliche und parlamentarische Debatte darüber anzustoßen.

Ich lege Ihnen deshalb heute einen Entwurf für einen Gruppenantrag vor und bitte um Ihre Unterstützung für diesen Antrag. Ziel meines Anliegens ist es nicht einen möglichst schnellen Beschluß durch die Abgeordneten des Deutschen Bundestages herbeizuführen, sondern vielmehr durch die Aufarbeitung dieses historischen Ereignisses und die deutsche Mitverantwortung der damaligen deutschen Regierung des Kaiserreiches, den Versöhnungsprozeß in der Region zu befördern. Gerade für die Glaubwürdigkeit einer solchen Position ist es wichtig, dass sich der Deutschen Bundestag mit der eigenen Geschichte und der Mitverantwortung auseinandersetzt.

Zum Hintergrund des Antrages möchte ich Ihnen nur kurz einige Tatsachen in Erinnerung rufen: Eine öffentliche Diskussion zu den Geschehnissen von 1915 erhebt sich erst seit der expliziten Verurteilung des Völkermordes, u.a. durch das Europäische Parlament (Entschließung vom 15. November 2000) und die Französische Nationalversammlung (Entschließung vom 18. Januar 2001). Dennoch bestreitet die türkische Regierung bis heute, dass es einen Genozid an den (christlichen) Armeniern und Aramäern gegeben hätte. Jeder, der öffentlich den Völkermord erwähnt, begibt sich in die Gefahr, von den türkischen Behörden zumindest strafrechtlich verfolgt zu werden. Das beste Beispiel hierfür ist die strafrechtliche Verfolgung des syrisch-orthodoxen Pfarrers Yusuf Akbulut aus Diyarbakir. Herr Akbulut stand dort seit Dezember vergangenen Jahres vor Gericht, weil er der türkischen Presse gegenüber im Zusammenhang mit den oben geschilderten Vorgängen von einem Völkermord an der armenischen, aber auch der aramäischsprachigen bzw. syrisch-orthodoxen Bevölkerung der Türkei sprach. Viele weitere Fälle ließen sich aufzählen. Dazu gehören auch der Aufruf zu Handelsboykotten durch Teile der türkischen Regierung gegenüber Frankreich nach einer entsprechenden Resolution der Französischen Nationalversammlung im letzten Jahr.

Nachdem meine Intention in der Öffentlichkeit bekannt wurde, hat sich eine für mich interessante Diskussion über das Für und Wider eines Bundestagsantrages ergeben. Ich möchte auch hierzu nur kurz Stellung nehmen, um der notwendigen ausführlicheren Diskussion nicht vorzugreifen:

Ziel des vorliegenden Entwurfes für einen Gruppenantrages ist es, über die Diskussion zur Anerkennung des Genozides durch den Deutschen Bundestag demokratische Initiativen in der Türkei zu unterstützen. Da durch das Europäische Parlament die Anerkennung des Genozides zu einem der Kopenhagener Kriterien gemacht wurde, können durch ein behutsames Vorgehen die europafreundlichen Kräfte in der Türkei gestärkt werden. In dem Ihnen vorliegenden Antragsentwurf ist darüber hinaus die Absicht deutlich ausgedrückt, den Opfern und Ihren Nachfahren das deutliche Signal zu geben, dass das Leugnen eines Völkermordes vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte von den Volksvertretern der Bundesrepublik nicht hingenommen wird.

In dieser schwierigen Diskussion geht es darum alle Abgeordneten in der Türkei und auch diejenigen Wissenschaftler, Geistlichen und Menschenrechtler zu unterstützen, denen es unter Strafandrohung verboten ist, diesen Völkermord nur anzusprechen. Dieses offene Aussprechen stellt auch den ersten notwendigen Schritt hin zu einer Versöhnung zwischen der Türkei und den Armeniern dar, die das oberste Ziel all dieser Bemühungen ist.

Ich denke, dass ich mit den obigen Ausführungen schon angedeutet habe, dass es sich bei der Anerkennung des Völkermordes nicht um eine historische Frage handelt, die entweder von Historikern zu beantworten wäre oder nur die Türkei selbst betrifft. Die Aktualität und Bedeutung dieser Tatsache ergibt sich zuerst aus den Verletzungen, die den Opfern und deren Nachfahren durch das Leugnen des Genozides bis heute beigefügt werden und durch die erhebliche Beeinträchtigung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei. Die EU-Mitgliedsstaaten haben die Pflicht, die Kopenhagener Kriterien zum Prüfstein für Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu machen. Die Anerkennung des Völkermordes und damit verbunden die Gewährung der Meinungs- und Pressefreiheit gehören meines Erachtens zu diesen Prüfsteinen für die erfolgreiche und wünschenswerte Integration der Türkei in die Europäische Union.

Ich hoffe Ihnen damit mein Anliegen in ausreichender Weise deutlich gemacht zu haben. Für Rückfragen und auch für persönliche Gespräche stehe ich Ihnen jederzeit zur Verfügung.

Ich würde mich über Ihre Unterstützung für diesen Gruppenantrag freuen und verbleibe mit freundlichen Grüßen,
gez. Uwe Hiksch
ANLAGE
Antragsentwurf und Begleitschreiben der Petenten

 

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