Cem Özdemir, Schreiben an die DAG

Cem Özdemir, MdB
Innenpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Vorsitzender der Deutsch-Türkischen Parlamentariergruppe

Schreiben an die DAG

Berlin, den 03. April 2002
Herr Schlauch hat mich gebeten, Ihnen zu antworten. Bitte entschuldigen Sie meine späte Antwort. Sie liegt nicht etwa daran, dass der Genozid an den Armeniern in der Bundesfraktion nicht diskutiert wird. Ganz im Gegenteil: wir haben häufig diskutiert, welches die adäquate Form ist, den Armeniern, die während des Genozides 1915 ums Leben gekommen sind, zu gedenken. Dabei ist von allen Mitgliedern der grünen Bundesfraktion unbestritten, dass den Armeniern in den Jahren 1915/16 unbeschreibliches Leid zugefügt worden ist. Nach der UN-Konvention zur Verhinderung des Völkermords stellt die Vertreibung von Millionen von Armeniern einen Völkermord dar. Allerdings erscheint uns eine Resolution des Bundestages nicht die geeignete Form, den ermordeten Armeniern zu gedenken.

Das hat folgende Gründe:

Der Bundestag befaßt sich mit aktuellen Angelegenheiten, die einen Bezug zu Deutschland haben. In seinen Beschlüssen fordert er in der Regel die Regierung auf, eine bestimmte Handlung vorzunehmen. Er befaßt sich auch mit der Geschichte Deutschlands, insbesondere dann, wenn Deutschland Schuld auf sich geladen hat.

Der in Rede stehende Antragsentwurf von dem Kollegen Hiksch beinhaltet aber nur die Anerkennung einer historischen Tatsache. Es ist nicht Aufgabe des Parlaments, eine offizielle Bewertung historischer Ereignisse vorzunehmen. Das ist Aufgabe der Geschichtswissenschaften. Der deutsche Bundestag ist nicht die Instanz, die sich mit dem in der Vergangenheit geschehenen Unrecht der Welt auseinandersetzen kann.

Sollte es zu einer Debatte über den Gruppenantrag im Plenum des Deutschen Bundestages kommen, so werden wir der Opfer des Völkermordes an den Armeniern gedenken und die Türkei wegen ihrer Haltung – wie wir es schon zuvor getan haben – kritisieren. Wir werden auch an die Mitverantwortung Deutschlands an dem Völkermord erinnern und eine Aufarbeitung anmahnen. Den Gruppenantrag werden wir aber ablehnen.

Das hat auch noch einen weiteren Grund: Die Türkei reagiert auf Einflußnahme durch andere Parlamente mit Repressionen gegen die in der Türkei lebenden Armenier. Ich weiß, dass die türkische Seite den Dialog nach wie vor hartnäckig verweigert. Im Gespräch mit Vertretern der in der Türkei lebenden Armenier und dem armenischen Patriarchen haben alle Gesprächspartner immer wieder betont, dass der Dialog zwischen Türken und Armeniern von den Beteiligten selbst kommen muss. Ein deutscher Parlamentsbeschluss wäre dafür kontraproduktiv. Vielmehr wünschen sich alle Gesprächspartner, dass Deutschland sie in ihren Bemühungen, einen Dialog mit der offiziellen türkischen Seite zu finden, unterstützen möge.

Ich habe mich immer wieder für einen türkisch-armenisch-deutschen Dialog eingesetzt. In meiner Funktion als Vorsitzender der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe habe ich die Türkei dafür immer wieder kritisiert. Auch mit der armenischen Gemeinde in Deutschland bin ich in Kontakt. So habe ich im letzten Jahr an einem Gedenkgottesdienst in der armenischen Kirche in Köln teilgenommen. Auch in diesem Jahr werde ich an dem Gedenkgottesdienst wieder teilnehmen.

 

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