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1. Entwurf für eine Resolution des Deutschen Bundestages
Der Genozid am armenischen Volk von 1915 und die
Verbesserung der türkisch-armenischen Beziehungen
1. Entwurf für eine Resolution des Deutschen Bundestages
(Prof. Dr. Gunnar Heinsohn, 3.3.1999)
Wenn eine Nation um ihre Völkermordtoten trauert und dabei anhören muß, wie die ungeheuerliche Tat als nicht geschehen hingestellt wird, dann erleidet sie zu ihrem Schmerz auch noch den unerträglichen Vorwurf, einem kollektiven Wahn verfallen zu sein. Im Jahre 1985 hat der deutsche Gesetzgeber das Leugnen von Auschwitz auch deshalb unter Strafe gestellt, weil das Nichteingeständnis von Genoziden größere Verbitterung und dauerhaftere Unversöhnlichkeit hervorruft als fast jede andere Reaktion auf solche Taten.
Der Bundestag ist über die Verneinung des Völkermordes von 1915 an den Armeniern im jüngtürkischen Osmanenreich nicht weniger bestürzt als über Versuche, die hitlerdeutschen Verbrechen am europäischen Judentum zwischen 1933 und 1945 zu verharmlosen oder gar zu bestreiten.
Der Bundestag weiß um die logistische Hilfe des Deutschen Kaiserreiches bei der Ermordung der Armenier, um die eiserne Weigerung, den verbündeten türkischen Tätern Einhalt zu gebieten, um die aktive Vertuschung der Verbrechen vor der Welt und um die Rettung der Haupttäter auf einem deutschen Zerstörer. Seit der prekären Freundschaft Kaiser Wilhelms II. mit Sultan Abdul Hamid II., der bereits zwischen 1894 und 1896 zahllose Armenier umbringen ließ, gibt es eine nie gesühnte deutsche Mitschuld an den Verbrechen von Osmanen und Jungtürken. Gewiß war es 1915 Innenminister Talaat Pascha, der den Genozidbefehl erteilt hat: „Ihnen wurde bereits mitgeteilt, daß die Regierung durch Befehl der Versammlung (Jemiet) beschlossen hat, die in der Türkei lebenden Armenier restlos auszurotten. Diejenigen, die sich diesem Befehl widersetzen, können nicht mehr für die Regierung im Amt bleiben. Ohne Rücksicht auf Frauen, Kinder und Kranke […] muß ihrer Existenz ein Ende bereitet werden“ (Boyajian 1972, 320). Gewiß war mit Enver Pascha auch der Kriegsminister ein Türke. Aber faktischer Herr über die Truppen war – als Chef des Generalstabs des ottomanischen Feldheeres von 1914 bis 1917 – Generalmajor Fritz Bronsart von Schellendorf. Als Mitglied der deutschen Militärmission und preußischer Offizier unterstand er direkt dem Kaiserreich. Er war es, der am 25. Juli 1915 die Deportation der noch verbliebenen und längst entwaffneten Armenier aus den östlichen Provinzen der Türkei befahl und damit die Todesmärsche in die syrische Wüste mit zu verantworten hat. Selbst nach dem Kriege hat der – überdies antisemitische – General die armenischen Opfer „als blutsaugende Parasiten“ diffamiert, die hassenswerter als „die schlimmsten Juden“ seien. Oberstleutnant Boettrich – deutscher Chef der Eisenbahnlogistik im osmanischen Hauptquartier – hat Tausende armenischer Experten seines Bereichs in den sicheren Tod deportieren lassen. Der deutsche Artilleriemajor Graf Wolfskiel hat persönlich die Beschießung des Armenierviertels von Urfa geleitet und die Verbrennung der Menschen in ihren Häusern als gerechte Strafe für die „Verräter“ gerechtfertigt. Wir wissen, daß sich noch weit mehr Deutsche als für den Mord am armenischen Volk zur Verfügung gestellt haben (Lepsius 1986: Dadrian 1997).
Der Bundestag vergißt bei seinen Hinweisen auf die deutschen Täter keineswegs, daß es nicht zuletzt die zahlreichen Berichte deutscher Konsularbeamter an das Auswärtige Amt in Berlin gewesen sind, durch welche die Auslöschung der Armenier später so genau dokumentiert werden konnte. Vor allem jedoch ist – dem im Reich dafür geächteten – Johannes Lepsius die frühe Aufklärung (1916) über den Todesgang der Armenier zu danken. Das Decken der Verbrechen durch Wilhelm II. und die deutsche Diplomatie war auch deshalb so verwerflich, weil die deutsche Seite so viel besser Bescheid wußte als alle Belogenen.
Der Bundestag ruft den Genozid von 1915 nicht nur deshalb in Erinnerung, um sich einem kaum bewußten Stück deutscher Vergangenheit zu stellen und den Armeniern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Er will die türkische Republik dazu ermutigen, die Taten der osmanischen Vergangenheit ebenfalls anzunehmen und damit eine Versöhnung zu befördern, die – wie wir wissen – auch von armenischer Seite ganz entschieden befürwortet wird. Die Türkei müßte sich dafür nur der Entschlossenheit entsinnen, mit der sie selbst im Jahre 1918 die Ahndung der Verbrechen an ihren armenischen Bürgern begonnen hat. Schon am 11. Dezember 1918 empört sich der Präsident des türkischen Senats, Achmed Reza, über die Bestialität der Taten. Am 3. März 1919 initiiert Sultan Mohammed VI. den ersten Strafgerichtshof der Menschheitsgeschichte für die Aburteilung von „Verbrechen gegen die Menschheit“ (kanuni insaniyete …karsi îka edilen cerâim). Über 1.000 Mörder von Armeniern werden verhaftet und die geflohenen Hauptverantwortlichen – Dschemal, Enver, Nazim und Talaat – zum Tode verurteilt. Immerhin drei besonders grausame Täter erleiden die Höchststrafe. Am 11. Juni 1919 schließlich gesteht der Großwesir Demat Ferit Pascha die Verbrechen an den Armeniern vor der Weltöffentlichkeit ein und schafft damit einen Präzedenzfall für den mutigen Umgang mit einer entsetzlichen nationalen Vergangenheit (Akcam 1996).
Der Bundestag ist sich bewußt, daß die spätere Freilassung vieler Täter und alsbald dann auch das Leugnen der Tat nicht ohne Mithilfe der europäischen Mächte möglich gewesen wäre. Die kalte Aufkündigung des Vertrags von Sèvres (10.8.1920), der den überlebenden Armeniern zu ihrem Recht verhelfen sollte, durch den Vertrag von Lausanne (24.7.1923), der ihr Schicksal dann nicht einmal mehr erwähnte, hat die innertürkischen Kräfte stärken müssen, die dem – nur allzu menschlichen – Wunsch nach Verdrängung der Schande nachgeben wollten. Ihre Einstellung weiterer Strafverfolgung hat nicht zuletzt den deutschen Diktator Hitler angespornt, seine eigenen Großtötungen in Gang zu setzen: „So habe ich, einstweilen nur im Osten, meine Totenkopfverbände bereitgestellt mit dem Befehl, unbarmherzig und mitleidslos Mann, Weib und Kind polnischer Abstammung und Sprache in den Tod zu schicken. Nur so gewinnen wir den Lebensraum, den wir brauchen. Wer redet heute noch von der Vernichtung der Armenier?“ (22. August 1939 nach einer Mitschrift durch Abwehrchef Admiral Canaris in Akten 1956, S. 171).
Im Jahre 1973 wurde der Special Rapporteur der Vereinten Nationen gezwungen, den Völkermord an den Armeniern aus seiner Study of the Question of the Prevention and Punishment of the Crime of Genocideherauszunehmen und sie – im Jahre 1978 – ohne diesen Tatbestand zu veröffentlichen. Alte Wunden – so hieß – sollten nicht wieder aufgerissen werden (Kuper 1981, 219 f.). Tatsächlich sind die Wunden der Armenier dadurch nur noch schmerzhafter geworden und die Scham vieler Türken über den Kleinmut ihrer Regierungen, die sich zur Vergangenheit der Nation nicht bekennen wollen, ist weiter gewachsen. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestags würden sich wünschen, daß diese Resolution Kollegen im türkischen Parlament dazu ermutigt, nun ihrerseits eine Erklärung zur osmanischen Schuld am Armeniergenozid auf den Weg zu bringen.
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