Bundestagsprotokoll der Debatte vom 22. Juni 2001 über

Armenien, Aserbaidschan und Georgien

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf:

21 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus-Jürgen Hedrich, Dr. Norbert Blüm, Hermann Gröhe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Deutsche Entwicklungszusammenarbeit und Demokratisierungshilfe für die zentralasiatischen Nachfolge staaten der Sowjetunion verstärken
    – Drucksache 14/5251 –
    Überweisungsvorschlag:
  • Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f)
  • Auswärtiger Ausschuss
  • Innenausschuss
  • Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
  • Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
  • Haushaltsausschuss

21 b)

    Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Rühe, Karl Lamers, Klaus-Jürgen Hedrich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
    • Die strategische Bedeutung der Kaukasus-Republiken, Armenien, Aserbaidschan und Georgien politisch umsetzen
    – Drucksache 14/5961 –
    Überweisungsvorschlag:

  • Auswärtiger Ausschuss (f)
  • Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
  • Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
  • Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
  • Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Rühe, Karl Lamers, Klaus-Jürgen Hedrich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen.
– Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich begrüße zu diesem Tagesordnungspunkt unserer Debatte
eine Delegation der Nationalversammlung der Republik Armenien
unter Leitung des stellvertretenden Vorsitzenden der Nationalversammlung,
Herrn Gagik Aslanyan.
Seien Sie uns herzlich willkommen, liebe Gäste

(Beifall).
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Peter Weiß, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem armenischen Parlament! Als vor einem Jahrzehnt die Sowjetunion zerfiel, entstanden, verbunden mit vielen Erwartungen und Hoffnungen, die fünf neuen Staaten Zentralasiens Ka sachstan, Kirgistan, Usbekistan, Tadschikistan und Turkmenistan sowie die drei neuen Staaten im Südkaukasus Armenien, Aserbaidschan und Georgien.

Für viele Menschen in Europa und auch bei uns in Deutschland sind diese Länder nicht nur geographisch, sondern auch im öffentlichen Bewusstsein noch immer weit entfernt. Doch mit der Osterweiterung der Europäischen Union rücken wir näher an diese Länder heran. Dann gilt erst recht, dass Krieg und Frieden, Armut und Wohlstand, Unterjochung und Freiheit, Willkür und Rechts staatlichkeit in diesen Ländern, die die Drehtüren zwischen Ost und West dar stellen, unmittelbare Folgen für die Zukunft Europas haben. Deshalb ist es höchste Zeit, dass die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den Ländern der Kaukasusregion und Zentralasiens stärker in das Zentrum deut scher und europäischer Politik gerückt wird.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Offenkundig ist zum Beispiel das hohe wirtschaftliche Interesse, das wir haben. Deutschland ist der größte Erd öl- und Erdgasimporteur in Europa. Je mehr jedoch unsere traditionellen Bezugsquellen für unsere eigene Versor gungssicherheit versiegen, umso bedeutender werden die Erdöl- und Erdgas vorkommen im Kaspischen Becken. Die Nachfrage nach deutscher Technolo gie, deutschen Maschinen und Anlagen bei der Erschließung der Rohstoffvor kommen wird in den kommenden Jahren wachsen. Ein anderes Beispiel: Bei Experten längst bekannt, in der deutschen Öf fentlichkeit noch wenig nachvollzogen, ist, dass ungefähr 90 Prozent der Opiate, die nach Westeuropa gelangen, in Afghanistan produziert werden und ihren Weg über Zentralasien und über Nachbarstaaten nach Europa finden. Für die Taliban in Afghanistan ist die Drogenproduktion mittlerweile eine der wichtigsten Ein nahmequellen geworden. Für die zunehmend verarmten Länder Zentral asiens ist der Drogenhandel aus Afghanistan in Richtung Westeuropa ebenfalls eine wichtige Einnahmequelle geworden. In Tadschikistan sollen die Einkünfte aus dem Rauschgifthandel mittlerweile ein Sechs tel der gesamten Bruttoin landsproduktion ausmachen.

Dass globale Umweltprobleme nicht an staatlichen Grenzen Halt ma chen, ist allgemein bekannt. Zentralasien ist eine ökologische Katastrophen zone. In Kasachstan gibt es riesige, durch sowjetische Atomversuche ver seuchte Landgebiete. Die Region leidet zunehmend an gewaltigem Wassermangel durch Übernutzung und Verschmutzung. Das Katastrophensymbol schlechthin ist der mittlerweile fast verschwundene Aralsee. Sicherheit und Prosperität in Europa gibt es nur, wenn auch bei unseren unmittelbaren Nachbarn stabile Verhältnisse herrschen. Doch Zentralasien ist heute eine der Regionen, die zunehmend dem – aus Afghanistan herüber schwappenden – Fundamentalismus und kriegerischen Attacken von Milizen ausgesetzt sind. Organisierte Kriminalität und internationaler Terrorismus de stabilisieren die gesamte Region. Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und die Ach tung der Menschenrechte sind unterentwickelt. Die staatliche Macht ist äußerst brüchig.

Die Situation in den drei kaukasischen Republiken ist durch eine ganze Reihe regionaler Konflikte geprägt. Die eingefrorenen Konflikte um Nagorny-Karabach zwischen Armenien und Aserbaidschan sowie um Abchasien und Südossetien in Georgien behindern die wirtschaftliche und politische Entwick lung der gesamten Region. Sie können jederzeit wieder gewaltsam ausbrechen, mit all den Folgen für die regionale Stabilität und die Stabilität in Europa insgesamt.

Die deutsche Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik bezüglich der Länder Zentralasiens und der Kaukasus-Region ist europäisch fest eingebun den und international verankert. Das ist zwar gut so. Aber diese Verankerung darf nicht dazu führen, dass sich die deutsche Politik aus der Verantwortung zieht. Wir erwarten – deswegen haben wir die heutige Debatte beantragt -, dass die Bundesrepublik Deutschland künftig auch selbst einen stärkeren Beitrag leistet, um bei der Bewältigung der Konflikte in diesen Regionen zu helfen und zu einer nachhaltigen positiven Entwicklung der neu entstandenen Staaten beizutragen. Man kann sich nicht nur hinter der EU verstecken oder alles auf die EU schieben.

Herr Bundesaußenminister, Sie haben kürzlich eine Reise unternommen

(Joseph Fischer, Bundesminister: Eine? Viele!)
– gut, Sie unternehmen viele Reisen -, die Sie auch in die Länder des Kaukasus, über die wir heute debattieren, geführt hat. Aber wenn Sie in der Kauka sus-Region nur Aserbaidschan und nicht Armenien besuchen, dann muss man sich fragen, wie es um unseren ernsthaften Beitrag zur Lösung des seit über zwölf Jahren bestehenden Konfliktes um Nagorny-Karabach bestellt ist und warum Sie sich nicht in beiden Ländern kundig machen. Seit 1992 gehört Deutschland der so genannten Minsk-Gruppe an, die sich um die Vermittlung zwischen Armenien und Aserbaidschan kümmern soll. Doch von Deutschland hat man schon seit vielen Jahren nichts mehr gehört.

Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie zusammen mit ihren Partnern in der Kaukasus-Region endlich selbst aktiv wird. Wir fordern, dass ein hochrangiger Beauftragter Deutschlands für die Kaukasus-Region benannt wird, der mit entsprechendem politischem Rückhalt einen kontinuierlichen Dialog mit den Regierungen der betroffenen Ländern selbst, aber auch mit den Regionalmächten Russland, Türkei und Iran sowie mit den Verantwortlichen in der US-Administration und unseren europäischen Partnern über die friedliche Beilegung der Konflikte führt; denn die Beilegung der Konflikte wird schmerzli che Kompromisse von den Beteiligten erfordern. Ohne konzertierten politischen Druck der wichtigs ten Akteure einschließlich der internationalen Organisationen werden diese Kompromisse nicht zu erzielen sein.

Wir erwarten einen aktiveren Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur Stabilisierung der Staaten Zentral asiens und deren Begleitung auf dem Weg zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und marktwirtschaftlicher Ordnung. Umwelt verschmutzung, Drogenhandel, internationaler Terrorismus, organisierte Krimi nalität und Fundamentalismus – all dies sind riesige Probleme, die derzeit die Länder Zentralasiens erschüttern – werden uns in Westeuropa irgendwann selbst einholen, wenn wir nicht präventiv tätig werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Bei der Beantwortung der Frage: „Was haben die Deutschen wirklich vor, um zu einer nachhaltigen Entwicklung sowie zur politischen und wirtschaftlichen Stabilität der Länder Zentralasiens und des Kaukasus beizutragen?“, kann man sich leider nicht allein auf die wertvollen Erklärungen des Herrn Bundesaußen ministers oder auf die so genannte Kaukasus-Initiative der Frau Bundesministe rin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung verlassen. Die eigentliche Antwort darauf findet man im Bundeshaushalt. Der Beschluss, den die Bundesregierung in der vergangenen Woche gefasst hat, ist schlichtweg eine Katastrophe. Er bedeutet, dass es im Grunde genommen keinerlei Perspektive für die Entwicklungszusammenarbeit mit den zentralasiatischen Ländern und der Kaukasus-Region gibt.

Mit dem Entwurf für den Bundeshaushalt 2002 werden die Mittel für die Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion um circa 15,2 Prozent abgesenkt und die so genannten Transform-Programme werden um zwei Drittel gekürzt. Die verbleibenden Baransätze sollen nur noch dazu dienen, in den nächsten Jahren die eingegangenen Rechtsverpflichtungen zu bedienen. Neue Verpflichtungsermächtigungen – das heißt auch: Mittel für neue Projekte – gibt es nicht mehr. Die Titel, die für diese Länder bislang hauptsächlich zuständig waren, sollen in den nächsten Jahren restlos beseitigt werden.

Natürlich bietet die Bundesregierung einen Ausweg an: Die Arbeit in Osteuropa, in Zentralasien und in der Kaukasus-Region möge künftig über die so genannten normalen Titel der Entwicklungszusammenarbeit finanziert werden. Diese Titel werden für diesen Zweck jedoch nicht etwa erhöht, sondern zum Teil sogar weiter abgesenkt.

Besonders perfide finde ich diese Strategie gegenüber den nicht staatlichen Trägern der Entwicklungszusammenarbeit. Da die Entwicklung einer starken und aktiven Zivilgesellschaft für den gelingenden Transformationsprozess sowie für die Demokratisierung der Länder Zentralasiens und des Kaukasus von größter Bedeutung ist, haben sich im letzten Jahrzehnt die Kirchen, die politischen Stiftungen und eine Vielzahl von Nichtregierungsorganisationen in diesen Ländern zu Recht engagiert.

Angesichts der Tatsache, dass fast alle Länder Zentralasiens und der Kaukasus-Region im Hinblick auf Korruption – leider – weltweit an der Spitze stehen, war und ist es wichtig, verlässliche und solide Partner der Entwicklungszusammenarbeit im nicht staatlichen Bereich zu finden. Deshalb ist diese Arbeit von der Bundesregierung immer gefördert worden. Doch auch die Mittel dafür soll es in Zukunft nicht mehr geben; stattdessen sollen Kirchen, Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen ihre Ostarbeit künftig aus ihren eigenen Haushaltstiteln für die Südarbeit mitfinanzieren. Um es deutlicher zu sagen: Das, was die Bundesregierung jetzt vorschlägt, heißt: Ostarbeit, Arbeit in Zentralasien und in der Kaukasus-Region, gibt es künftig nur zulasten der Südarbeit, sprich: zulasten der Zusammenarbeit mit den ärmsten Ländern des Südens. Die Situation, vor die wir gestellt sind, halte ich für vollkommen verquer.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Bundeskanzler hat auf dem Millenniumsgipfel der Vereinten Nationen verkündet, dass Deutschland das große Ziel, die extreme Armut weltweit bis zum Jahr 2015 zu reduzieren, mit einem eigenen Beitrag unterstützen werde. Das Bundeskabinett hat Anfang April dieses Jahres mit der Unterstützung aller Bundesressorts ein Aktionsprogramm für einen deutschen Beitrag zur Reduzierung der weltweiten Armut beschlossen. Der Herr Bundeskanzler hat heute, zum 60. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941, den Nachfolgestaaten weitere Hilfe bei gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Reformen sowie eine Intensivierung der Beziehungen angeboten.

Doch gleichzeitig legt man uns einen Haushaltsentwurf vor, der genau das Gegenteil dessen, was für eine solche Politik notwendig ist, beinhaltet. Wo bleibt da die internationale Glaubwürdigkeit der Bundesregierung? Wo bleibt die Glaubwürdigkeit gegenüber all denjenigen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die sich in zum Teil großartiger Weise in Verbänden, Nichtregierungsorganisationen oder anderen Initiativen engagieren? Wo bleibt die Glaubwürdigkeit gegenüber unseren Partnern in den Kirchen, in den Stiftungen, in den Nichtregierungsorganisationen oder in den vielen entwicklungsorientierten Ini tiativen und Gruppierungen?

Die hehren politischen Erklärungen, in denen wir weitgehend übereinstimmen, sind alle null und nichtig, wenn man die Zusammenarbeit gerade mit den Transformationsländern Osteuropas, Mitteleuropas, Südosteuropas, der Kaukasus-Region und Zentralasiens in der Art und Weise, wie es der Bundeshaushalt 2002 ausweist, einschränkt und praktisch sogar auf null reduziert. Das ist keine Perspektive. Deswegen fordern wir von Ihnen nicht nur politische Erklärungen, sondern auch konkretes Handeln, das diese Erklärungen rechtfertigt. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile der Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul das Wort.

Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir tragen eine politische Gesamtverantwortung für die Regionen, über die wir heute diskutieren, das heißt für Zentralasien und den Kaukasus, den Südkaukasus zumal. Denn die Befreiung von sowjetischer Herrschaft und Dominierung ist das eine, aber unsere Verantwortung jetzt für den sich fortsetzenden Prozess der Transformation dieser Länder ist das andere. Wir stehen zu dieser Verantwortung, da die Leistungen, die von diesen Ländern verlangt werden, groß sind.

Es geht darum, sich vom Staatskapitalismus hin zu einer sozialen Marktwirtschaft und zu einer stabilen Wirtschaft zu entwickeln. Es geht darum, sich hin zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu entwickeln. Es geht darum, dazu beizutragen, Konflikte frühzeitig abzubauen und damit mögliche Krisen und Kriege präventiv zu verhindern. Ich möchte an dieser Stelle vor allen Dingen all den Menschen danken, die in diesen Ländern die Veränderungen vollziehen, die mit dem Transforma tionsprozess verbunden sind. Sie leisten die wirkliche Arbeit dort.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.
sowie des Abg. Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU] )

Wer in diesen Ländern war – ich zum Beispiel war in allen drei Ländern des Südkaukasus, in Georgien, Aserbaidschan und Armenien, und habe mit einem Teil der Bevölkerung, nicht nur mit den politisch Handelnden, gesprochen -, der sieht, was von den Menschen in diesen Ländern an Verände rungen verlangt wird.

Deshalb ist es wichtig, dass wir die dort geleistete Arbeit mit unter stützen. Wir werden unsere Anstrengungen weiter fortsetzen, denn wir haben ein Interesse an der Stabilität dieser Regionen. Wir haben ein Interesse – Kollege Weiß hat es zu Beginn seiner Ausführungen angesprochen – an einer guten wirtschaftlichen Kooperation. Dazu gehört übrigens auch eine wechsel seitige kooperative Energieversorgung; das kann sehr offen und deutlich gesagt werden. Wir haben ein Interesse daran, das Prinzip der regionalen Integration, das für uns in Europa ein friedens- und wohlstandssicherndes Prinzip ist, auch für andere Regionen fruchtbar zu machen. Das heißt, dass in der Region größere Märkte gefördert werden müssen, zum Beispiel für die zusammen 73 Millionen Einwohner des Südkaukasus und der zentral asiatischen Länder. Es müssen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass sie selbst größere Märkte und damit eine bessere Ausgangsposition haben, um ihre eigene wirtschaftliche Entwicklung voranzubringen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen – weil uns das häufig zu wenig präsent ist, und ich verstehe mich als eine Ministerin, die solche Punkte in einer solchen Diskussion in Erinnerung ruft -: Wir haben ein dramatisches Wohlstandsgefälle zwischen Europa und den entsprechenden Regionen sowie eine zunehmende Verarmung der dortigen Regionen. Die durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen betragen in den einzelnen Regionen zwischen 300 US-Dollar in Kirgisistan und etwa 1 250 US-Dollar in Kasachstan. Die Wirtschaftsleistung beträgt etwa 1,2 Prozent bzw. 5 Prozent des deutschen Bruttosozialproduktes. Das ist ein dramatisches Ungleichgewicht.

Die Region leidet wegen des lang währenden Transformationsprozesses von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft an einer Verarmung neuer Art. Es besteht eine strukturelle Arbeitslosigkeit, da der Markt der früheren Sowjetunion weggebrochen ist und die Arbeitsteilung, in die die frühere Sowjetunion diese Länder gepresst hat, entfallen ist. Wer dort ist und sieht, welche Schäden diese Arbeitsteilung in einem Land wie Aser baidschan hinterlassen hat, wird sagen: Das war ein Verbrechen, das gegenüber diesen Ländern begangen worden ist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
sowie des Abg. Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU])

Auch an dieser Stelle möchte ich Zahlen nennen: So erreichte zum Beispiel das Bruttosozialprodukt Georgiens 1999 nur noch 34 Prozent der 1989 offiziell vermeldeten Zahlen. In Armenien und Aserbaidschan sieht es etwas besser aus. Das geringe Finanzaufkommen ermöglicht es diesen Ländern kaum noch, die Leistungen zu erbringen, die für die Bevölkerung, zumal für die armen Teile, wichtig sind: Bildungs- und Gesundheitspolitik. Beide Regionen bestehen aus Staaten mit einem hohen Konfliktpotenzial und bergen daher ein besonderes Risiko der Instabilität. Im Kaukasus sind sogar erneute kriege rische Auseinandersetzungen nicht ausgeschlossen.

Angesichts dieses Sachverhaltes konzentriert sich unsere Entwicklungs politik besonders auf Beratung und Unterstützung in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit und Demokratieentwicklung. An dieser Stelle möchte ich sagen: Unsere Zu sammenarbeit wird besonders geschätzt, zumal die Erwartung hinzukommt, dass wir Erfahrungen aufgrund des deutschen Einigungs- und Transforma tionsprozesses an diese Staaten weitergeben und sie dort fruchtbar werden können. Das ist in der Tat möglich, auch wenn die Situation nicht übertragbar ist.

Die Kaukasus-Länder sind bereits Mitglied des Europarates. Die Region Kaukasus wird Nachbar der Europäischen Union. Auch Zentralasien sieht in der EU einen neutralen Partner. Wir konzentrieren unsere Entwick lungszusammen arbeit auf Georgien sowie auf fünf Partnerländer, nämlich Armenien, Aser baidschan, Kasachs tan, Kirgisistan und Usbekistan. Nichtpartnerländer sind bisher Tadschikistan und Turkmenistan. Dennoch leisten wir in Tadschikistan Hilfe bei der Nahrungsmittelunterstützung. Aufgrund der politischen Situation in den beiden Ländern ist eine offizielle Entwicklungszusammenarbeit bisher für uns nicht möglich.

Schwerpunkte sind für uns immer, den Aufbau der sozialen Markt wirtschaft zu unterstützen, den Finanzsektor zu reformieren, kleine und mittlere Unternehmen zu unterstützen, die Berufsbildung voranzubringen und in der Rechtsberatung tätig zu sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer vor Ort er fahren hat, wie groß der Wunsch in den betroffenen Ländern – besonders im Kaukasus – ist, zum kontinentaleuropäischen Rechtssystem zurückzukehren, der weiß, wie wichtig diese Zusammenarbeit ist. Der oberste Präsident des Ge richtshofs in Georgien etwa, Herr Tschantschuria, hat als Austauschstudent des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in Deutschland seine Ausbildung genossen, ist dann nach Georgien zurückgegangen und hat dort mit anderen zusammen das georgische Justizsystem aufgebaut. Solche Beratungen beim Aufbau von Rechtssystemen leisten wir vor einem ganz zentralen Hintergrund: Es geht um Demokratie, aber auch um wirtschaftliche Chancen für die Länder. Es geht darum, die Chancen zu verbessern, dass in diesen Ländern Investi tionen vorgenommen werden und somit Arbeitsplätze geschaffen werden können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)Zum Schluss möchte ich noch einige Anmerkungen machen: Wir haben nicht erst auf die Empfehlung von Herrn Weiß hin praxisorientiert gehandelt, sondern ich habe bereits während meiner Reise eine entsprechende Kaukasus-Initiative unseres Ministeriums vorgestellt. Wir sind bereits in Verhandlungen mit den Regierungen von Georgien, Armenien und Aserbaidschan. Dieses wollte ich Ihnen zum Schluss meiner Ausführungen noch einmal darstellen.

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass in erster Linie die EU eine solche Stabilitätsinitiative voranbringen sollte. Ich glaube nämlich nicht, dass wir war ten können, bis erneut Konflikte ausbrechen. Wir sollten vertrauensbildende Maßnahmen fördern, unterstützen und dazu beitragen, dass die Menschen in der Region miteinander reden, und zwar auch über die jeweiligen Grenzen hin weg. Es reicht nicht, dass nur die Staatspräsidenten miteinander sprechen. Wir müssen den Kontakt zwischen den Menschen fördern und das tun wir auch.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)
Das Anliegen meiner Reise – ich war im April in den drei Ländern im Kaukasus – war, dazu beizutragen, die Friedensförderung durch regionale Kooperationen in wichtigen Bereichen voranzubringen. Dadurch sollen die einzel nen Länder auch wirtschaftlich enger miteinander verknüpft werden. Die Reak tionen waren insgesamt positiv, jedoch unterschiedlich in den einzelnen Län dern. Verabredet wurde – das lässt sich sehen, das hat vor uns niemand erreicht – eine Initiative für die Jahre 2001 und 2002 mit bilateraler Ent wicklungszusammenarbeit in einer Größenordnung von jeweils 100 Millionen DM. Wir haben mit der Umsetzung bereits begonnen.Ich sage Ihnen nun stichpunktartig, worum es geht. Zunächst geht es um Rechtsberatung und Rechtssysteme sowie Stärkung der kommunalen Demo kratie. Dazu zählen zum Beispiel Dialogprogramme der politischen Stiftungen, Aus- und Fortbildungsinstitutionen, Journalis tenkontakte, Juristenzusammenar beit, Förderung des Energiesektors. Alle drei Länder im südlichen Kaukasus leiden unter erheblichen Energieproblemen. Deshalb geht es uns darum, mit der Kooperation einen regionalen Energieverbund für Strom und Gas zu fördern. Darüber hinaus geht es um die Förderung der Privatwirtschaft. Ich denke inso fern vor allem auch an Existenzgründungen. Dazu haben wir überregional – für die drei Länder – einen Kreditgarantiefonds für Klein- und Mittelbetriebe ge schaffen, der dazu beiträgt, dass die Möglichkeiten des größeren Marktes ge nutzt werden. Zudem unterstützen wir die Länder überregional bei der Bekämp fung von Krankheiten. Dazu zählen auch die neuen alten Krankheiten; damit meine ich die Krankheiten, die – wie Tuberkulose – mit der Armut wieder zu rückgekommen sind. Außerdem unterstützen wir die drei Länder in der regionalen Zusammenarbeit beim Aufbau von Biosphärenreservaten. Präsident Wolfgang Thierse: Frau Ministerin, Sie müssen zum Ende kommen. Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für wirtschaftliche Zu sammenarbeit und Entwicklung: Jawohl, Herr Präsident, das trifft sich gut.

(Heiterkeit)Zusätzlich zu all dem sind wir nicht nur bilateral tätig, sondern auch in der EU, in der Weltbank und in den Regionalbanken. Vor dem Hintergrund der anhaltenden Veränderungen in der Region tun wir, wie ich denke, gut daran, solche regionale Zusammenarbeit zu fördern. Wir haben deutlich gemacht, dass wir darüber nicht nur reden, sondern dass wir auch konkret handeln. Ich denke, die jeweiligen Länder wissen, wovon die Rede ist. Es liegt uns wirklich daran, eine gute Zusammenarbeit zwischen den Ländern herzustellen.

Zum Schluss möchte ich unsere Freunde, die Kolleginnen und Kollegen aus Armenien, die heute anwesend sind, herzlich grüßen und ihnen sagen: Sie können sich auf unsere Arbeit und Zusammenarbeit verlassen.
Ich danke Ihnen sehr herzlich.

(Beifall im ganzen Hause)Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile dem Kollegen Carsten Hübner, PDS-Fraktion, das Wort.

Carsten Hübner (PDS):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kolle gen! Als ich mir die beiden Anträge, die wir heute beraten, das erste Mal ange sehen habe, habe ich, gelinde gesagt, einen Schreck bekommen. Dabei beziehe ich mich gar nicht auf eine ganze Reihe von Details, Forderungen und Einschätzungen, die ich – nicht zuletzt aus entwicklungspolitischer Sicht – durchaus teile. Das betrifft etwa Armut, ökologische Probleme sowie Probleme der Transformation oder der Demokratisierung. Insofern herrscht, denke ich, in diesem Hause weitestgehender Konsens.

Kein Konsens herrscht aber, lieber Kollege Weiß, was die Logik anbe trifft, nach der die Bundesrepublik aktiv werden soll. Das betrifft zunächst ein mal die sich durch Ihren Antrag ziehende Logik der offenen oder zumindest deutlich erkennbar formulierten Interessenkollision zwischen der Bundesrepu blik bzw. dem Westen auf der einen und Russland bzw. China auf der anderen Seite. Letztlich wird damit einem geostrategischen Wettlauf das Wort geredet; nicht zuletzt ist es der Wettlauf um die ökonomisch-politische Vorherrschaft in Zentralasien insgesamt.

(Beifall bei der PDS)Das ist ein Denken, das ich nicht allein aufgrund der Gewinner-und-Ver lierer-Logik ablehne, die solchen Wettläufen zugrunde liegt. Vielmehr entspre chen die Konfrontation und Konflikte, die mit einer derartigen Politik einhergehen, die von ihr geradezu gefördert und provoziert werden und die schließlich wohl machtpolitisch entschieden werden sollen, einem Politikverständnis, das ich grundsätzlich ablehne und das politisch nicht verantwortbar ist.

(Beifall bei der PDS)Wie kann man sich – das frage ich Sie ernsthaft – gerade in dieser bri santen Region, gerade im Bereich der globalen Problematik der natürlichen Ressourcen – also Öl und Gas – einer derartigen Logik hingeben, anstatt auf regionale und gleichzeitig globale Integration sowie auf einen Prozess des nachhaltigen und ökologisch vertretbaren Interessenausgleichs zu setzen?

(Beifall des Abg. Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] )Dieser Prozess muss Russland und China als Partner – genauso wie internatio nale Organisation – einschließen, wenn er erfolgreich sein will. Mit einem zu kunftsfähigen entwicklungspolitischen Ansatz hat diese hier vorgetragene Denke jedenfalls wenig zu tun. Ich will noch auf einen zweiten Aspekt hinweisen, nämlich auf die Ten denz, die Entwicklungszusammenarbeit zu einer Agentur der Außenwirt schaftsförderung und der geostrategischen Interessen des Westens gegenüber dem Osten und natürlich gegenüber dem Süden zu machen. Erschreckenderweise findet sich genau dieser Ansatz im entwicklungspolitischen Antrag ebenso deutlich wie im Antrag über die strategische Bedeutung der Region. Diese Denkweise, die weit blicken lässt, lehnt die PDS-Bundestagsfraktion aus prinzipiellen Erwägungen ab.

(Beifall bei der PDS)Ich sage das aber auch – und gerade – mit Blick auf Stimmen aus der Bundes regierung, die ebenfalls einer derartigen Verstümmelung der Entwicklungszu sammenarbeit das Wort reden.

Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an die bisher durch nichts untersetzte Bejubelung des Konzepts der Public Private Partnership zwischen öffentlicher Hand und Privatwirtschaft, das inzwischen quasi als Zauberwort alle Bereiche der Debatten über die Entwicklungszusammenarbeit durchzieht. Die ses Konzept ist doch wohl nichts anderes als das Feigenblatt für einen sinken den BMZ-Haushalt. Die Entwicklungszusammenarbeit ist aber weit mehr; sie ist etwas gänz lich anderes. Gerade im Sinne einer nachhaltigen globalen Strukturpolitik, wie sie von der Bundesregierung immer und immer wieder beschworen wird, soll sie die Grundbedingungen für eine solidarische und gerechte globale Entwicklung schaffen und soll nicht weitere Absatzmärkte und Zugänge zu Rohstoffen für die eh schon mächtigen Ökonomien der Welt gegen andere durchsetzen helfen.

An diesem Punkt, liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt es aus unserer Sicht noch erheblichen Diskussionsbedarf in den Ausschüssen. Wenn Sie die ses Thema so beschäftigt, wie man Ihren Äußerungen entnehmen kann, Herr Außenminister, dann würde ich mich freuen, wenn auch Sie an den Debatten in unserem Ausschuss teilhaben könnten. Danke schön.

(Beifall bei der PDS)Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort dem Kollegen Helmut Lippelt, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass die CDU/CSU diese bei den Anträge eingebracht hat, weil wir damit die Gelegenheit haben, über dieses Thema endlich einmal grundsätzlich zu diskutieren. Wir werden das in den Ausschüssen tun; hier kann man das nicht, dazu sind fünf Minuten zu kurz. Man muss also feststellen, dass man dieses Thema angesichts der großen Probleme in dieser Region im Rahmen der heutigen Debatte nur sehr allgemein behandeln kann.

Es liegen heute zwei Anträge der CDU/CSU vor. Der eine Antrag wurde von den Außenpolitikern und der andere Antrag von den Entwicklungspolitikern der CDU/CSU geschrieben. Herr Weiß, Sie tun uns leid, denn Sie ha ben das Problem, dass Sie als Entwicklungspolitiker auch den außenpolitischen Antrag vertreten müssen, weil kein einziger Außenpolitiker der CDU/CSU anwesend ist.

(Beifall bei der PDS)
Dass bei dem Teil Ihrer Rede, der sich mit der strategischen Bedeutung der Kaukasus-Republiken beschäftigt, nur Unsinn herauskommt, kann also nicht verwundern. Ich will mich im Folgenden auf den Kaukasus konzentrieren. Herr Rühe ist durch diese Region gereist und hat nur die geostrategischen Interessen gesehen: Erdöl, Erdgas – Pipelines! Über kein anderes Thema kann man so wunderbar herumpolitisieren wie über Pipelines, die durch die Türkei oder durch die Ukraine verlaufen sollen. Es ist bedauerlich, dass wir diese wichtige Debatte auf der Basis eines schlecht gestellten Antrags bestreiten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS) Ich will Ihnen vorweg sagen, wo das Problem liegt, wenn Sie über die notwendige Stabilität dieses Raumes reden: Gerade die geopolitischen Interessen ferner Mäch te zerstören die Stabilität eines solchen Raumes.
(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das ist richtig!)
Wir müssen über die soziale, die innenpolitische und die demokratische Stabi lität reden. Aber auch in diesem Punkt machen Sie es sich zu einfach. Sie schreiben einfach – dieser Satz ist wunderbar -: „Seit Aufnahme in den Europa rat … haben diese Länder ihren festen Platz in der europäischen Staatenfamilie.“Ja, diese Länder gehören zu Europa. Aber Sie müssten sich einmal von Ihren Mitgliedern in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates berichten lassen, wie dort diese Fragen dis kutiert werden. Diese Länder sind nur deshalb – und auch nur mit den aller größten Bedenken – aufgenommen worden, weil der Kontakt zu Europa als notwendig angesehen wurde. Sie sind gegen schwere Bedenken aufgenommen worden; denn dort gibt es immer noch umfangreiche Wahlmanipulationen und die Kultur des Machtwechsels ist überhaupt noch nicht eingeübt, weshalb es enorm viele politische Gefangene gibt. Vor der Aufnahme Aserbaidschans in den Europarat – ich spreche nicht von Armenien; dort sind die Verhältnisse etwas günstiger, aber auch noch problematisch – haben wir mehrere Hundert politische Gefangene aus den Gefängnissen geholt. Aber einige Hundert sitzen dort immer noch. Seit der Aufnahme in den Europarat werden es wieder mehr, übrigens in Georgien auch, obwohl die Zahlen dort niedriger sind.

Das Problem ist, dass diese Länder sagen: Nun haben wir den Europarat-Stempel. Der Europarat ist aber nicht mehr das, was er zu Anfang einmal war, sozusagen der Stempel „europäische Demokratie“, sondern der Europarat ist inzwischen die Agentur der Demokratisierung dieser Länder, mit dem Wunsch, sie nach Europa zu holen. Aber das bedeutet überhaupt nicht, dass das bereits gelungen ist. Dann hereinzukommen und von der geopolitischen Lage zu sprechen ist sträflich.

Die letzte Bemerkung – die Zeit läuft davon; Herr Präsident, ich werde mich ganz kurz fassen -: Ich komme gerade aus Baku. Dort tagte die Parlamentarische Versammlung der Schwarzmeerkooperation. Dort saßen die Delegationen von Aserbaidschan, Armenien und Georgien; man konnte mit ihnen wunderbar reden. Nur hatten wir beschlossen, dass von der Opposition jemand und von den Regierungsparteien jemand – das war ich – hinfahren würde. Im Protokoll der Obleute des Auswärtigen Ausschusses vom März steht „Der Arbeitskreis Außenpolitik der CDU/CSU wird aufgefordert, einen Vertreter zu entsenden“. Er war nicht da. Dann reist Herr Rühe einmal durch die Gegend, sagt: „Ich habe es begriffen“ und kommt uns hier mit Unsinn.

Der größte Unsinn ist die Forderung nach einem Dialog mit Moskau, Teheran und Ankara. Die Äquidistanz zu den großen Mächten um den Kaukasus ist verheerend. Warum? Die Länder aus dem früheren Einflussbereich der Sowjetunion entwickeln ihre Souveränität. Man muss natürlich den Dialog mit Moskau führen. Aber gleichzeitig auch gleichberechtigt mit den anderen etwas hin und her zu balancieren, ist falsch.

(Zuruf des Abg. Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU] )
– Ich weiß, Sie kriegen jetzt alles ab. Sagen Sie es den Außenpolitikern weiter!
(Heiterkeit)
Dazu das letzte Beispiel. Ich beziehe mich auf Aserbaidschan.

Präsident Wolfgang Thierse: Kollege Lippelt, Sie müssen jetzt wirklich zum Ende kommen.
(Heiterkeit)
Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident, Sie haben völlig Recht. Ich spreche jetzt den letzten Satz, vielleicht mit zwei Kommas.
(Heiterkeit)Wenn Sie mit den Initiativen, mit den Helsinki-Komitees, mit all den Menschenrechtsorganisationen, die es dort auch gibt und mit denen man den Dialog führen muss, reden, würden die Ihnen erzählen: Die Leute haben nach dem Erdölvertrag 1994 gedacht, jetzt werde es ihnen besser gehen. Es war nicht so. Sie haben nach dem Beitritt zum Europarat gedacht, jetzt würde es ihnen besser gehen. Es war nicht so. Die grenzenlose Not führte dazu, dass inzwischen aus den Flüchtlingslagern 10 000 Schüler in die Koranschulen des Iran gegangen sind. Was das für die Zukunft dieses Gebietes bedeutet, können Sie sich ausrechnen. Erzählen Sie das Ihren politischen Freunden! Dann können wir sinnvoll in den Ausschüssen diskutieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)Präsident Wolfgang Thierse: Kollege Lippelt, das waren ungefähr 17 Kommas.

(Heiterkeit)Ich erteile das Wort dem Kollegen Johannes Pflug, SPD-Fraktion.

Johannes Pflug (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kaukasus ist eine Region, welche die politische Fantasie anregt. Hier treffen die beiden Großmächte Russland und USA aufeinander. Hier sind das NATO-Mitglied Türkei und der Problemstaat Iran als Nachbarn mit im Spiel. Hier geht es um politische Einflusszonen, und es geht um das Abstecken der letzten noch nicht verteilten Claims im Energiebereich. So liest sich auch über weite Strecken der CDU/CSU- Antrag.

Es geht um die Existenzsicherung von drei ungefestigten Staaten und um das Ausbalancieren des Selbstbestimmungsrechtes der Völker und des Anspruches auf territoriale Integrität. Vor allem muss es uns um die Lebens- und Überlebenschancen der Menschen in der Region gehen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)Der Ausgang dieses politischen Dramas ist offen. Diese Offenheit wirkt auf manche wie eine Einladung zum Mitspielen.

Ich hoffe nicht, dass sich die CDU/CSU bei der Formulierung ihres Antrags von den Motiven der großen Geostrategen hat leiten lassen. Aber in ihrer Forderung, deutsche Politik solle den Südkaukasus unter „strategischen“ Gesichtspunkten betrachten, klingt ja doch der Wunsch durch, dort – wie andere auch – mitmischen zu wollen. Hätte der Begriff „strategisch“ den begrenzten Sinn, dass deutsche Unternehmen auch künftig kaspischens Öl kaufen können und Zugang zu den südkaukasischen Märkten haben sollten, dann wäre das eine zutreffende Umschreibung unserer Interessenlage. Aber die CDU/CSU will mehr: Sie fordert Einfluss auf den Verlauf der so genannten strategischen Achsen quer durch den Kaukasus, sie fordert die Überwindung der so genannten regionalen Blockbildung und die Organisation eines Dialogs mit Washington, Moskau, Ankara und Teheran zur Stabilisierung der Region. Das sieht alles danach aus, als solle Deutschland nach dem Willen der CDU/CSU im Südkaukasus ein strategischer Player sein.

Meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU/CSU, dabei würden wir uns nur überheben. Derartige Wunschträume haben auf absehbare Zeit keine Aussicht auf Realisierung. Deutsche Unternehmen bauen dort keine Pipelines und werden deswegen auch nicht über deren Trassenführung entscheiden. Deutschland ist kein unmittelbarer Akteur bei der Lösung des Konfliktes um Berg Karabach. Es kann auch nichts daran ändern, dass sich die Präsidenten Aserbaidschans und Armeniens lieber in Mos-kau und Florida als in Berlin treffen. Gerade für deutsche und europäische Kaukasuspolitik ist Realismus und Sinn für das derzeit Erreichbare wichtig. Wir sind im Kaukasus kein Player, auch wenn wir ein wirtschaftliches und politisches Interesse an Stabilität in der Region haben. Es ist ja richtig, dass wir uns einen Kaukasus ohne Konflikte, wirtschaftlich prosperierend, frei und unabhängig, demokratisch, mit funktionsfähigen Verwaltungen und Gerichten wünschen, verantwortungsbewusst, wo jeder mit jedem kooperiert und alle genügend Kaufkraft haben, um sich unsere Produkte leisten zu können. Zu glauben, deutsche Politik könnte dies alles allein oder gemeinsam mit der EU in absehbarer Zeit bewerkstelligen, ist Selbstüberschätzung. Wir können und müssen mit unseren Freunden und Partnern reden, aber wir können nicht von uns aus das Heft in die Hand nehmen.

Was wir brauchen, ist Augenmaß und der Einsatz von Mitteln dort, wo sie konkrete Verbesserungen bewirken können:

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)bei der Modernisierung der Infrastruktur – Frau Ministerin hat darauf hingewiesen -, beim Umweltschutz, beim Ausbau des Rechtssystems, bei der Energiesicherung, bei der beruflichen Qualifizierung und in all den Bereichen, die für den Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft und von der Einparteienherrschaft zur Demokratie von zentraler Bedeutung sind.

Dies hat die frühere Bundesregierung getan; dies tut in verstärktem Maße die heutige Bundesregierung. Sie kann sich dabei auf ein vergrößertes Engagement der Europäischen Union stützen und leistet auch Beiträge zur Entspannung der politischen Probleme im Zusammenhang mit Abchasien, Südossetien und Berg Karabach. Die Förderung regionaler Kooperation ist hierfür ein Schlüssel. So sind ja auch die europäischen Programme angelegt. Mit Ihrem Antrag – das hat gerade auch Herr Kollege Weiß getan – erweckt die CDU/CSU den Anschein, als könnten die im Vorspann des Antrags genannten Probleme des Kaukasus durch mehr Geld hier und mehr Koordination und Beratung dort gelöst werden. Das ist nicht der Fall. Selbst wenn die Bundesrepublik Deutschland und die Europäische Union ihre materiellen Unterstützungsleistungen verdoppelten, könnten wir die strukturellen Defizite der Region, die im Antrag zum größten Teil zutreffend beschrieben sind, nicht beseitigen. Das müssen die Länder selber tun.

Es erfordert den Willen der Politiker in den drei Republiken, diesbezüglich etwas zu ändern. Deutsche Politik kann dies ermutigen, kann mit Beratung und Vorschlägen unterstützen; umsetzen müssen dies allerdings die Länder selbst.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)Die militärischen Konflikte zwischen Armenien und Aserbaidschan um Nargornij Karabach und in Georgien sind zurzeit eingefroren. Es gibt zwar in Abchasien und um Nargornij Karabach herum immer wieder einmal Schie-ßereien, aber insgesamt halten die Waffenstillstände. Was für eine Friedensregelung fehlt, ist der politische Wille zum Kompromiss. Obwohl die beiden einflussreichsten Mächte in der Region, Russland und die USA, eine Vermittlerrolle übernommen haben, hat all ihre Stärke nicht ausgereicht, um eine friedliche Regelung herbeizuführen.

Nichts deutet darauf hin, dass Deutschland oder die Europäische Union hierbei erfolgreicher sein könnten. Dennoch gab es Bewegung: Die Präsidenten Aserbaidschans und Armeniens haben sich mehrfach getroffen. Solange nicht geschossen wird, kann es immer wieder eine Chance geben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)Zu dieser Bewegung, meine sehr verehrten Damen und Herren, zähle ich auch den jüngsten Vorschlag des Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses der russischen Duma, Herrn Nikolajew, ein strategisches Gesamtkonzept für den Südkaukasus zu entwickeln, in dem Russ-land die Rolle einer Garantiemacht übernehmen soll.

Russland hat sich auf dem OSZE-Gipfel in Istanbul 1999 verpflichtet, bis zum 1. Juli 2001 zwei Standorte russischer Streitkräfte aus Georgien abzuziehen. Gestern erreichte uns die Nachricht, dass die Streitkräfte aus dem Standort Vaziani zurzeit aufgelöst werden und der Abzug bis zum 29. Juni abgeschlossen sein soll. Das ist zu begrüßen. Demgegenüber sind russische Streitkräfte nach wie vor in dem abchasischen Standort Gudauta stationiert und es liegen keine Hinweise darauf vor, dass dieser Standort ebenfalls geräumt wird. Die Bundesregierung ist aufgefordert, die russische Seite zu drängen, ihren OSZE-Verpflichtungen zeitgerecht nachzukommen. Da Russ-land eine zentrale Rolle für die Stabilisierung auch des Südkaukasus spielt, braucht es das Vertrauen der Staaten der Region. Die Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen ist hierfür unumgänglich. Die SPD-Bundestagsfraktion hält die Initiativen des Auswärtigen Amtes, des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und auch die Initiativen auf europäischer Ebene für richtig und unterstützt sie. Sie sieht in ihnen wichtige Beiträge zur weiteren Entwicklung des Kaukasus, die auch Voraussetzungen für die Regelung der politischen Konflikte schaffen können. Diese Initiativen gehen deutlich weiter als das, was die CDU/CSU in ihrem Antrag vorgeschlagen hat, und sie sind zugleich realistischer und weniger vom Wunschdenken geprägt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort dem Bundesminister Joseph Fischer.

Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Pflug, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer Rede, weil sie, im Wesentlichen von Realismus getragen, aufgezeigt hat, worin die Probleme bestehen, und zugleich klargemacht hat, dass wir uns völlig überhöben, wenn wir meinten, die Bundesrepublik Deutschland könne dort wie auch immer an einem strategischen Spiel teilhaben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)Ich weiß, es gehört zur Übung der Opposition – ich mache es Ihnen gar nicht zum Vorwurf -, stärkeres Engagement zu verlangen. Aber dann muss man auch sagen, was dies bedeutet. Man muss dann Verantwortung übernehmen, was sich in einem Mehr an Diplomatie, an Entwicklungszusammenarbeit und an Sicherheitszusammenarbeit ausdrücken müsste. Ich habe gerade jüngst im Nahen Osten die ganz konkrete praktische Erfahrung gemacht, was ein Mehr an Verantwortung bedeutet und wie schnell man an das Ende der Möglichkeiten einer europäischen Mittelmacht gelangt, wenn ganz andere Instrumente sowohl im zivilen als auch im Sicherheitsbereich gefordert sind. Insofern rate ich hier dringend zu Realismus auch vonseiten der Opposition.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)Im Übrigen haben wir es in dieser Region mit Problemen zu tun – das sage ich der PDS -, die nicht so einfach zu lösen sind. Sicherlich, große und sehr große Mächte verfolgen dort ohne jeden Zweifel ihre Politik; das streite ich gar nicht ab. Aber wir sind gut beraten, unsere Politik in die der Europäischen Union einzuordnen. National, also auf der Grundlage bilateraler Beziehungen, betreiben wir Entwicklungszusammenarbeit; wir haben auch gute Beziehungen im wirtschaftlichen Bereich. Aber dass wir uns in einer Nachbarregion tatsächlich so engagieren könnten, dass wir dort auch die europäischen Interessen im Hinblick auf Frieden, Entwicklung und Menschenrechte – sie sind in dieser Region eine ganz zentrale Herausforderung –

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
zum Tragen bringen könnten, ist völlig ausgeschlossen. Dies wird nur die Europäische Union und eine zweite multilaterale Organisation, die OSZE, können.Nirgendwo habe ich die Bedeutung der OSZE so stark wie in Zentralasien nachvollziehen können. Hier ist die OSZE wirklich die Organisation, die Möglichkeiten zur Verbesserung der Menschenrechtssituation und zur Stabilisierung der Demokratie bietet. Sie ist auch die einzige Organisation, die für die dortige demokratische Opposition einen Hoffnungsfunken in einer manchmal sehr düs-teren politischen Umgebung bedeutet.

Darüber hinaus müssen wir im Auge haben, dass es in all diesen Län dern Konflikte gibt, die denen auf dem Balkan sehr stark ähneln. Gleichzeitig aber wird aufgrund der Interessen von außen die Konfliktlösung nicht so betrieben, wie sie betrieben werden sollte, um die Konflikte tatsächlich lösen zu können – ob es um den Konflikt in Abchasien, Südossetien oder in Berg Karabach geht, ob es die Konflikte in Zentralasien sind. Hier wird natürlich ein bestimmtes politisches Spiel gespielt. Ich möchte darauf nicht näher eingehen, warne aber davor, dies einseitig zu verankern.

Wenn wir uns aber dort engagieren, dann ist es wichtig, dies entlang un serer Grundsätze zu tun. Wirtschaftliche Zusammenarbeit, Handel und Wandel sind für mich kein Gegensatz zur Entwicklungszusammenarbeit. Dies kann sich hervorragend ergänzen;

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)die Kollegin Wieczorek-Zeul betont dies zu Recht immer wieder. Grundlage aber muss die Entwicklung der Demokratie sein. Das ist ein ganz entscheiden der Gesichtspunkt, den ich während meiner Reise in Zentralasien in den Ge sprächen mit den dort regierenden Präsidenten besonders betont habe.

(Beifall der Abg. Christa Nickels [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] )Meine Damen und Herren, lassen Sie mich dies in der Kürze der Zeit zu sammenfassen: Wenn ich unter dem Aspekt Frieden und Stabilität auf unsere Nachbarregionen schaue, dann sehe ich als Konfliktregion den Nahen und Mittleren Osten, den Kaukasus – nicht nur den Südkaukasus, sondern auch den Nordkaukasus, als Teil Russ lands – und Zentralasien. Wir haben ein Interesse daran, dass die Entwicklung dort keine eskalierenden Tendenzen annimmt.

Die Verknüpfung von Radikalismus, Nationalismus und religiösem Fun damentalismus, von Interessen aufstrebender Regionalmächte, die nicht zö gern, aufgrund ihrer traditionellen regionalen Hegemonialpolitik auch militäri sche Optionen in Erwägung zu ziehen und vorzubereiten, die großen Öl- und Gasmächte, die in diesem Raum traditionell präsent sind – all dies schafft eine Konfliktlage, angesichts derer wir ein Interesse daran haben, uns als Europäer dort gemäß unseren Möglichkeiten entlang der Grundsätze Frieden, Demokra tieentwicklung, wirtschaftliche Zusammenarbeit und wirtschaftliche Entwicklung zu engagieren. Aber all die neostrategischen Illusionen und Träumereien, die der Abge ordnete Pflug gerade zu Recht kritisiert hat, sollten wir dort belassen, wo sie hingehören, nämlich in die ideologische Besenkammer des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)Präsident Wolfgang Thierse: Der Kollege Joachim Günther von der F.D.P. hat seine Rede zu Protokoll gegeben.1)

Damit sind wir am Schluss der Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/5251 und 14/5961 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Anlage 5

Zur Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Anträge

  • Deutsche Entwicklungszusammenarbeit und Demokratisierungshilfe für die zentralasiatischen Nachfolgestaaten der Sowjetunion verstärken
  • Die strategische Bedeutung der Kaukasus-Republiken, Armenien, Aserbaidschan und Georgien politisch umsetzen

(Tagesordnungspunkt 21 a und b)

Joachim Günther (Plauen) (F.D.P.):
Es ist ein Trauerspiel, dass wir nun schon im dritten Jahr nach dem Amtsantritt von Rot-Grün zusehen müssen, wie die deutsche Entwicklungspolitik an Substanz, und, was fast noch schlimmer ist, an Glaubwürdigkeit verliert. Allen hochtrabenden Sonntagsreden zum Trotz ist die Bundesregierung laut „Financial Times Deutschland“ inzwischen zum entwicklungspolitischen Schlusslicht in der Europäischen Union geworden.

Doch wer gehofft hatte, die Rücktrittsdrohung der Ministerin würde nun zum tragischen letzten Akt dieses Trauerspiels werden, hat sich geirrt. Die Rücktrittsdrohung scheint den Finanzminister so beeindruckt zu haben, dass er gleich verkünden ließ, die in letzter Minute gewährten 100 Millionen Euro werde er sich in den nächsten Jahren wieder zurück holen. Doch auch mit diesem Trostpflaster ausgestattet muss Frau Wieczorek-Zeul in diesem Jahr weitere herbe Kürzungen in ihrem Etat hinnehmen. Dies bedeutet, dass die Bundesministerin gegenüber unseren Partnerländern ein weiteres Mal wortbrüchig sein muss, weil es an Haushaltsmitteln für die diversen von ihr angekündigten Ini tiativen hinten und vorne fehlt. Vor diesem Hintergrund ist die von der Bundesminis-terin mediengerecht aufbereitete so genannte Kaukasus-initiative zu sehen. Wenn der Bundesregierung, wie von Ministerin Wieczorek-Zeul öffentlich angekündigt, nicht einmal Mittel zur Kofinanzierung des Internationalen Fonds für Aids-Hilfe zur Verfügung stehen, dann muss sie sich schon fragen lassen, wie sie die 100Millionen mobilisieren will, die die Kaukasusinitiative nach eigenen Angaben kosten soll.

Dabei wäre ein stärkeres deutsches entwicklungspolitisches Engagement im Kaukasus und in Zentralasien bitter nötig. Die Instabilität, ethnische und religiöse Unterschiede, die wachsende Korruption und ein Verteilungs- kampf um die Naturvorkommen, insbesondere Erdöl und Gas, stellen die Konfliktpunkte der Region dar.

Darüber hinaus wird die Region zusätzlich durch die internationale organisierte Kriminalität bedroht. Die Regierungen der zentralasiatischen Staaten sind häufig nicht in der Lage, die Grenzen zu kontrollieren; der Schmuggel von Rauschgift und Waffen ist an der Tagesordnung. 90Prozent der westeuropäischen Opiate kommen aus dieser Region. In Tadschikistan sollen die Einkünfte aus dem Rauschgifthandel mittlerweile ein Sechstel des gesamten Bruttoinlandsproduktes ausmachen. Überdies ist die Region zunehmend ein Umschlagplatz für Waffen, die von Afghanistan aus ihren Weg zu befreundeten radikal-islamischen Organisationen finden.

Das Interesse Europas und damit auch Deutschlands muss deshalb darin bestehen, einen Beitrag zur Stabilisierung zu leisten. Das dringend benötigte entwicklungspolitische Engagement muss eingebettet werden in ein politisches Gesamtkonzept für die Region, das auf die Stärkung rechtsstaatlicher Strukturen, Eindämmung des Rauschgifthandels, der organisierten Kriminalität und des internationalen Terrorismus abzielt. Diese grundsätzliche Orientierung soll zwar durch die so genannte Kaukasusinitiative aufgegriffen werden. Die Frage ist jedoch, welche der vielen gut gemeinten Projekte im Angesicht der jämmerlichen Haushaltssituation tat sächlich noch durchführbar sind. Bekanntlich ist „gut gemeint“ das Gegenteil von „gut“. Gerade die Zusammenarbeit mit Georgien war für die frühere Bundesregierung ein besonderes Anliegen, das unter Rot-Grün bedauerlicherweise nicht mehr in diesem Umfange fortgesetzt wurde. Gegenüber diesem Land hätte man eine kontinuierliche Solidarität erwarten können.

Während die frühere Bundesregierung Georgien für den Zeitraum 1998/1999 noch 90 Millionen DM für die finanzielle Zusammenarbeit zur Verfügung gestellt hatte, wurde dieser Betrag unter Rot-Grün mit einer Zusage von 50 Millionen DM für den Zeitraum 2000/2001 um fast die Hälfte gekürzt.

Angesichts der großen Verdienste der Regierung Schewardnadse um regionale Stabilisierung, aber auch angesichts seines historischen Engagements für die deutsche Einheit, ist dies eine beschämende Entwicklung, die auch durch die Ankündigung einer Kaukasusinitiative nicht wieder wettgemacht werden kann. Die FDP-Bundestagsfraktion unterstützt die heute zur Diskussion stehenden Anträge der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Ein stärkeres deutsches entwicklungspolitisches Engagement in der Region, eine aktivere Mitwirkung an den internationalen Bemühungen um die Beilegung der Konflikte in der Region, aber auch eine gezieltere Wahrnehmung der energiepolitischen Interessen Deutschlands in der Öl- und Erdgasförderregion rund um das Kaspische Meer ist dringend geboten.

Aber auch die Krisenregion östlich des Kaspischen Meeres muss dringend zu einem regionalen Schwerpunkt deutscher entwicklungspolitischer Zusammenarbeit werden. In Anbetracht des etwa von Kirgistan, Usbekistan und Kasachstan ausgehenden erheblichen Destabilisierungspotenzials ist es vollkommen unverständlich, wieso diese Länder in der jüngst eingeführten BMZ-Kategorisierung lediglich den Status einfacher „Partnerländer“ erhalten und nicht minder instabile Länder wie Turkmenistan und Tadschikistan nicht einmal mehr in der untersten Kategorie „potenzieller Partnerländer“ landen. Dem vorliegenden CDU/CSU-Antrag, die deutsche Entwicklungszusammenarbeit und die Demokratisierungshilfe für die zentralasiatischen Staaten zu verstärken, stimmen wir daher uneingeschränkt zu.

Zu einer verantwortungsvollen Kaukasuspolitik gehört auch ein kritisches Engagement im Tschetschenien-Konflikt. Von einer Beendigung des Feldzuges in Tschetschenien ist Moskau noch weit entfernt. Fast täglich melden Nachrichtenagenturen neue Tote. Statt eines siegreichen Blitzkrieges zeichnet sich immer deutlicher ein langwieriger, verlustreicher Konflikt ab. Hier muss Deutschland und muss die Europäische Union im Dialog mit Moskau eine deutliche Sprache sprechen und die strikte Einhaltung des Völkerrechts und der Menschenrechte in Tschetschenien einfordern.

Es gibt viel zu tun, wir werden die Ministerin nicht an Ankündigungsreden messen, sondern an konkreten Daten. Tun Sie alles, damit die Kaukasusinitiative nicht ein weiterer Flop Ihrer Regierung wird.

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