Petitionsantrag April 2000

 

Es ist Zeit:

Völkermord verurteilen

Mit Deportationen, Vertreibung und organisiertem Massenmord betrieb die regierende türkische Nationalistenpartei „Komitee für Einheit und Fortschritt“ in den Jahren 1914 bis 1918 die Türkisierung Kleinasiens. Beim Friedensschluß von Lausanne 1923 war fast die gesamte christliche Bevölkerung von fünf Millionen Menschen – Armenier, Griechen, arabische und aramäische (Syrisch-Orthodoxe, Nestorianer, Chaldäer) Christen – beseitigt worden. 1916 erfolgten die ersten Zwangsumsiedlungen von Kurden.

Systematisch vernichteten die „Jungtürken“ 1915 die armenische Bevölkerung. Der Weltkrieg und die Ausschaltung des Parlaments erleichterten den Völkermord: Binnen weniger Wochen wurden die intellektuellen und politischen armenischen Wortführer festgenommen, gefoltert und ermordet, anschließend die übrigen Männer massakriert und Frauen, Kinder sowie Alte zu Fuß über Hunderte von Kilometern in Wüstengebiete getrieben: Ein Todesmarsch, bei dem Hunger und Seuchen die Hauptvernichtungsmittel bildeten. Nach Schätzung der deutschen Botschaft zu Konstantinopel vom Oktober 1916 waren von 2,5 Millionen Armeniern des Osmanischen Reiches anderthalb Millionen umgekommen.

Als „Verbrechen gegen die Gesetze der Menschlichkeit“ verstieß der Völkermord an den Armeniern gegen internationale Abkommen, namentlich gegen die Martenssche Klausel in der Präambel der Haager Landkriegsordnung (1899, 1907). Die „humanitäre Intervention“ Großbritanniens, Frankreichs und Rußlands, die am 24. Mai 1915 der türkischen Staatsführung ein internationales Strafgericht nach Kriegsende androhten, bildete den ersten Versuch der Staatengemeinschaft, einen Völkermord zu verhindern. Da aber das Verbrechen ungestraft blieb, fand der Massenmord an den Armeniern Nachahmer. Zwischen dem Völkermord an den Armeniern und der Vernichtung der europäischen Juden bestehen kausale Zusammenhänge sowie Parallelen.

Seit Gründung der Republik Türkei haben alle ihre Regierungen die Realität des Genozids von 1915 bestritten. Ihr fortgesetztes Leugnen fügt dem armenischen Volk seit Generationen schwersten moralischen Schaden zu.

Deutschland besitzt aufgrund seines Militärbündnisses mit der osmanischen Türkei eine besondere Stellung sowohl in der türkischen, als auch in der armenischen Geschichte. Seine in beinahe allen Provinzhauptstädten vertretenen Konsuln konnten die Etappen der Armeniervernichtung genauer dokumentieren als die Diplomaten der türkischen Kriegsgegner. Einzelne Deutsche leiteten als Angehörige der osmanischen Armee militärische Aktionen gegen die armenische Zivilbevölkerung. Die Staatsführung des Kaiserlichen Deutschland nahm den Völkermord wegen „höherer Interessen“ billigend in Kauf und verhängte Militärzensur über die Türkeiberichterstattung. In der ersten deutschen Republik fanden einige der hauptverantwortlichen türkischen Partei- und Staatsführer Unterschlupf, obwohl sie 1919 in ihrer Heimat wegen Kriegsverbrechen und Massenmord an den Armeniern zum Tode verurteilt waren. Indem Deutschland türkische Auslieferungsbegehren ignorierte, behinderte es damals den ersten und einzigen Versuch einer rechtlichen Aufarbeitung des Völkermords an den Armeniern.

Die Bundesrepublik Deutschland ist Heimat der größten türkischen Diasporagemeinschaft und Heimat deutscher Staatsbürger armenischer Abstammung. In ihrem Namen wenden sich die Unterzeichner an denBundespräsidenten sowie an den Präsidenten und die Mitglieder des Deutschen Bundestages:

  • Erkennen Sie die Tatsache des Völkermordes an den Armeniern an! Folgen Sie dem Beispiel internationaler und nationaler Gremien: dem Weltkirchenrat, dem Europäischen Parlament, der UN-Menschenrechtskommission, den Parlamenten bzw. Senaten Argentiniens, Belgiens, Frankreichs, Griechenlands, Italiens, Kanadas, Libanons, der Rußländischen Föderation, Schwedens, Uruguays, der USA und Zyperns. Auch Papst Johannes Paul II. hat den Völkermord an den Armeniern verurteilt.
  • Fordern Sie die Regierung und den Gesetzgeber der Republik Türkei auf, die historische Tatsache des Völkermordes anzuerkennen und damit der Bedingung zu entsprechen, die das Europäische Parlament mit seiner am 18. Juni 1987 verabschiedeten „Resolution zur politischen Lösung der Armenischen Frage“ an die Vollmitgliedschaft der Türkei gestellt hat. Sie tragen damit unmittelbar dazu bei, Gerechtigkeit für die Nachfahren der Opfer wiederherzustellen. Sie helfen, die Spirale von Verbrechen, Straflosigkeit und Wiederholung zu durchbrechen, die das 20. Jahrhundert zum Jahrhundert der Völkermorde machte.

Ebenso unterstützen Sie mit dieser Entscheidung die Demokratisierungsprozesse innerhalb der Türkei sowie jene türkischen Staatsbürger, die in ihrer Heimat für den Versuch einer sachlichen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit strafrechtlich belangt werden. Die Anerkennung des Völkermordes von 1915 seitens der türkischen Regierung ist als vertrauensbildende Maßnahme ebenfalls geeignet, die armenisch-türkischen Beziehungen zu verbessern und zu Entspannung und Frieden in der Region beizutragen.

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