Die Bundesregierung distanziert sich nicht von der Armenien-Resolution!?

Zu Recht hat der heutige (2. September 2016) Bericht von Spiegel Online, die Bundesregierung wolle sich von der Armenien-Resolution des Bundestags distanzieren, zu heftigen politischen- und Medienreaktionen geführt.

Die Auslassungen von Regierungssprecher Seibert zu diesem Thema haben eher zu Irritationen geführt als zur Klärung beigetragen.

Seine Bemerkung, der Bundestag habe das Recht und die Möglichkeit, sich zu jedem Thema zu äußern, wann er immer das für richtig halte, ist allgemein bekannt und somit entbehrlich. Als souveränes Verfassungsorgan und Vertreter des Souveräns, eben des Volkes, steht dem Bundestag dieses Recht per se zu, er braucht diesbezüglich weder die „Genehmigung“ noch die Unterstützung der Bundesregierung. Das verdanken wir einzig unserem politischen System und seiner Gewaltenteilung.

So richtig es auch ist, dass die Bundesregierung sich formal nicht von der Armenien-Resolution distanziert hat, ist es ebenso richtig, dass Regierungssprecher Seiberts Feststellung, diese sei nicht rechtsverbindlich, verklausuliert die Position der Bundesregierung wiedergibt: Die Armenien-Resolution ist für die Bundesregierung nicht rechtsverbindlich. Direkt mag Steffen Seibert das nicht sagen, er zitiert lieber die Homepage des Bundestags, auch nicht, wovon die „besagte Resolution“ eigentlich handelt, nämlich vom Völkermord an den Armeniern.

Dennoch: Auch wenn Resolutionen rechtlich nicht bindend sind (politische Äußerungen sind sie allemal!), kann man sie dennoch übernehmen – wenn man will.

Auch den Grund für dieses Nichtwollen mag Regierungssprecher Seibert allenfalls indirekt andeuten: „In der Tat hat das Wort Völkermord rechtlich eine ganz bestimmte Legaldefinition – und dies wird von den zuständigen Gerichten ausgelegt und festgestellt.“

Und ebenfalls am 2. September stellt die Bundesregierung fest: „Die Bundesregierung stellt für den rechtlichen Begriff des Völkermords auf die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes vom 9. Dezember 1948 ab. Für die Bundesrepublik Deutschland ist sie seit dem 22. Februar 1955 in Kraft. Sie gilt nicht rückwirkend.“ Ein politischer „Grundsatz“, der nach Bedarf eingesetzt wird, wie die Debatte um den Völkermord an den Herero und Nama anschaulich gezeigt hat.

Da der Bundestag kein Gericht ist, kann sie generell über Genozide nicht befinden, jedenfalls nicht rechtsverbindlich. Und im Übrigen hat der Bundestag sich über den Grundsatz der Bundesregierung hinweggesetzt. So die Botschaft.

Realpolitische Zwänge im Umgang mit der Türkei in Sachen Armenien/Armenier haben seit je her Priorität – auch in 2016. Nur offen will die Bundesregierung das nicht sagen. Lieber versteckt sie sich hinter formalen Argumenten und nimmt Widersprüche in Kauf. So auch diesen: Dass z.B. die Abgeordnete Angela Merkel für die Resolution ist – zumindest bei der Probeabstimmung der Unionsfraktion -, die Bundeskanzlerin Angela Merkel in letzter Konsequenz jedoch gegen sie.

Ankara hat zwar von Berlin keine Distanzierung bekommen, aber eine scheinbar gut verpackte, letztlich jedoch durchsichtige öffentliche Erklärung, dass Berlin nicht hinter der Armenien-Resolution steht. Mag sein, dass Berlin nie besonders glücklich mit der Resolution war und ist. Das öffentlich über den Regierungssprecher – wenn auch versteckt – zu kommunizieren, das verleiht dem Ganzen eine ganz andere Qualität. Das ist eine nicht ausgesprochene Distanzierung oder eine Distanzierung, die nicht so heißen darf.

Freilich wäre es töricht, 2016 mit 1915 zu vergleichen. Heute haben wir einen großartigen Bundespräsidenten, der sich nicht den Mund verbieten ließ und am 23. April 2015 Völkermord Völkermord nannte. Und wir haben heute einen Bundestag, der am 2. Juni Parlamentsgeschichte schrieb und ebenfalls Völkermord Völkermord nannte. Rechtsnachfolger des Deutschen Kaiserreichs zu sein bedeutet, sich 1915 zu stellen. Bundespräsident und Bundestag haben das getan. Ihnen gilt unser Dank.

 

Wir empfehlen Ihnen unsere Materialsammlung „Genozid an den Armeniern„.

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