„Der Krieg ist noch nicht vorbei, die territoriale Integrität Aserbaidschans muss wiederhergestellt werden“

Ilham Aliyev

„Der Krieg ist noch nicht vorbei, lediglich seine erste Phase. Die territoriale Integrität Aserbaidschans muss wiederhergestellt werden.“

Das sagte Ilham Alijew nicht etwa Anfang April 2016 unmittelbar vor dem Angriff Aserbaidschans auf Berg-Karabach, sondern im Juni 2011 zwei Tage nach dem Gipfel von Kasan bei einer gewaltigen Militärparade.

In Kasan hatten die Präsidenten Armeniens, Aserbaidschans und Russlands über Gewaltverzicht, die friedliche Lösung des Berg-Karabach-Konflikts und Kompromissbereitschaft gesprochen. Und wie immer dienten die sog. Madrider Prinzipien  als Grundlage. Alijew hingegen strebte eine radikale Lösung an, sprach von Krieg, der nicht vorbei sei, von der territorialen Integrität Aserbaidschans, die wiederhergestellt werden müsse. Daran hat sich über die Jahre nichts geändert.

Was nach der Wiederherstellung der angestrebten territorialen Integrität mit den in Berg-Karabach lebenden Armeniern geschehen solle, dazu hat er sich nicht geäußert. Sollten sie dort bleiben und die vollen Bürgerrechte genießen, in deren Genuss nicht einmal die „normalen“ Aserbaidschaner kommen, oder vertrieben oder gar ermordet werden wie in Sumgait 1988 und Baku 1990?

Viel Gutes haben die Armenier nicht zu erwarten angesichts der systematisch betriebenen Verteufelung der Armenier durch Baku. Mittlerweile war das Gegenstand der wissenschaftlichen Tagung „Racism, Nationalism and Xenophobia“  in Warschau, 17.-18. März 2016. Sehr informativ ist die dort vorgestellte wissenschaftliche Studie „Armenphobia in Azerbaijan“, sie kann heruntergeladen werden. Nicht minder interessant ist die Webseite http://azerichild.info. Dort wird anhand von konkreten Beispielen gezeigt, wie bereits im Kindesalter antiarmenische Propaganda betrieben wird.

Nur so ist verständlich, warum der Axtmörder Ramil Safarov, der den armenischen Leutnant Gurgen Margarian 2004 bei einem NATO-Lehrgang  in Budapest brutal ermordet hatte, zum Volkshelden Aserbaidschans avancierte, wenn auch die internationale Gemeinschaft über seine Begnadigung durch Alijew entsetzt war.

Aus seiner Sicht hat Alijew allen Grund, zur Kriegsrhetorik zu greifen, schon aus innenpolitischen Gründen. Tatsächlich möchte der Alijew-Clan die Öffentlichkeit von seinem Treiben ablenken. Er hat sich massiv an den Erdölmilliarden bereichert. Ein internationales Konsortium von investigativen Journalisten (The International Consortium of Investigative Journalists), an dem auch deutsche Journalisten beteiligt sind, sorgte Anfang April 2013 für erste Einsichten, die im E-Book „Secrecy for Sale – Inside the Global Offshore Money Maze“ publiziert worden sind. Das Treiben von Ilham Alijew und seiner Familie werden dort in  „Offshore companies provide link between corporate mogul and Azerbaijan’s president“ vorgestellt.

Die Panama Papers, am 4. April der Öffentlichkeit vorgestellt, bringen größere Klarheit mit „How Family that Runs Azerbaijan Built an Empire of Hidden Wealth“ und “Aliyevs Seek Five Gold Fields in Kyrgyzstan”, auch bezüglich der geheimen Offshore-Firma der Alijew-Töchter Arzu and Leyla auf den britischen Virgin Islands, die 2015 erreichtet wurde, um ihr  Grundbesitz in Großbritannien im Werte von mehreren Millionen britischen Pfund zu managen, berichtete The Guardian.

Feindbilder haben sich in solchen Fällen immer bewährt. Allerdings wäre es leichtsinnig, die suggestive Kraft, die von der „Kriegsrhetorik“ ausgeht, zu unterschätzen. Alijew benutzt sie immer wieder, sie ist integraler Bestandteil der offiziellen Politik Aserbaidschans. Eine Bevölkerung, die jahrelang mit dieser Rhetorik konditioniert worden ist, wird in letzter Konsequenz einen Krieg erwarten, wenn die Dinge bei den Verhandlungen nicht im Sinne Aserbaidschans laufen.

Doch so lange die Petrodollars sprudelten, konnte der Alijew-Clan die Bevölkerung sowohl vom fehlenden „Endsieg“ als auch von der eigenen Korruption ablenken, der Kritiker im Lande hatte man sich ohnehin nachhaltig entledigt.

Doch mit dem rapiden Fall der Erdölpreise änderte sich die Lage, auch für Aserbaidschan. Denn Aserbaidschan ist nach Russland und Kasachstan der drittgrößte Erdölproduzent unter den ehemaligen Sowjetstaaten. Erdöl sorgt für 90 % der Exporte und ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von Aserbaidschan.

Anfang Januar 2016 verbrannte sich ein 63-jähriger Aserbaidschaner. Zuvor hatte er seinen Kollegen erzählt, er könne seine Bankkredite nicht mehr bedienen.

In zahlreichen Distrikten Aserbaidschans gingen ebenfalls im Januar Menschen auf die Straße und protestierten lauthals über rapide steigende Preise und Arbeitslosigkeit. Die Zahl der Demonstranten bewegte sich zwischen mehreren hundert bis zu mehreren tausend. Betroffen waren die Distrikte Fizuli, Aqsu, Aqcabardi, Siyazan und Lankaran. In Siyazan wurden Truppen eingesetzt, um einen Protestmarsch zu unterbinden. In Lankaran kam kam es  zu zahlreichen Verhaftungen. Davon betroffen waren die lokalen Führer der Oppositionsparteien Volksfront Aserbaidschans (Azərbaycan Xalq Cəbhəsi Partiyası) und die Gleichheitspartei (Müsavat Partiyası).

In Zeiten der wirtschaftlichen Krise und damit verbunden dem Niedergang der staatlichen Wohltaten wurde die Korruption des Alijew-Clans zu einem wesentlichen Thema und die „patriotische“ Karte, der erträumte „Endsieg“ ein Mittel, um die Kritik und Unzufriedenheit der Bevölkerung einzudämmen. Eine gefährliche Strategie, denn was wären die Folgen, wenn der „Endsieg“ ausbliebe?

Außenpolitische Misserfolge kamen hinzu. Die Versuche Aserbaidschans, die ungeliebte Minsk Gruppe, die im Auftrage der OSZE den Berg-Karabach-Konflikt friedlich lösen soll, auszuhebeln, scheiterten kläglich. Der Resolutionsentwurf des britischen Abgeordneten Robert Walter wurde von der Parlamentarischen Versammlung des Europarats (PACE) im Januar 2016 abgeschmettert. Bezeichnenderweise erwähnte Walter in seinem Entwurf die von der internationalen Gemeinschaft ausdrücklich befürworteten Madrider Prinzipien – ganz im Anklang mit Baku – mit keiner Silbe, was niemanden verwunderte. Seine wirtschaftlichen Kontakte zu Baku waren bekannt. Verwunderlich war allerdings, wieso er – ganz im Widerspruch zu den Reglements von PACE – überhaupt einen Resolutionsentwurf verfassen durfte.

Nach diesen Kalamitäten ist es gut möglich, dass Alijew sein Heil diese Tage in der „brute force“-Methode sucht.

Der russische Außenminister Lawrow und der US-amerikanische Außenminister Kerry sollen von „externen Akteuren“ gesprochen haben, die hinter der aktuellen Eskalation – der schlimmsten seit dem Waffenstillstandsabkommen von 1994 – stehen sollen. Die Türkei wird in diesem Zusammenhang hartnäckig genannt. Ob Präsident Erdogan für seine Niederlage in Syrien nach dem Kriegseintritt Russlands durch die Zuspitzung im Südkaukasus – der Einflusszone Russlands – sich revanchieren möchte, ist eine mögliche Überlegung. Keine Spekulation hingegen ist die Tatsache, dass die Türkei seit 1990  eindeutig pro-aserbaidschanische Positionen vertritt.

Jetzt, wo die Kämpfe immer noch andauern, haben die Menschen in Berg-Karabach keine andere Wahl, als mit allen Mitteln sich gegen den aserbaidschanischen „Endsieg“ zu stemmen. Sie wissen nur allzu gut, was ihnen sonst blühen würde.

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