Sarkozy, Erdoğan & der Völkermord an den Armeniern

Über die Gründe, warum die Französische Nationalversammlung das Gesetz, das die Leugnung der anerkannten Völkermorde unter Strafe stellt, verabschiedet hat, wird trefflich spekuliert. Da heißt es, der französische Präsident Sarkozy wolle bei der Präsidentschaftswahl im April 2012 die Stimmen der armenischen Wähler für sich gewinnen. Nach einer anderen Interpretation soll die Türkei, die sich zunehmend stärker im arabischen Raum – einer traditionell französischen Einflusszone – profiliert, ausgebremst werden. Andere wiederum sind davon überzeugt, der Türkei solle damit endgültig klargemacht werden, dass sie in der EU unerwünscht sei. Das alles kann stimmen oder auch nicht. Gemeinsam ist diesen Mutmaßungen, dass sie so oder so von einem politischen Opportunismus ausgehen.

Aber gerade jene aus dem Westen machen es sich leicht, wenn sie Sarkozy „Opportunismus“ vorwerfen. Denn ein gutes Stück Opportunismus betreiben auch jene politischen Kräfte im Westen, die von einer Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern nichts wissen wollen und dies mit dem Argument verschleiern, es sei nicht Aufgabe von Drittstaaten zu einem „historischen“ Vorfall, das sich „weit hinten in der Türkei“ ereignet hat, Stellung zu beziehen. Dabei gibt es genügend Gegenbeispiele für politische Stellungnahmen für eben solche „historische“ Vorfälle. Vielfach geht es diesen Kräften darum, die guten, profitablen Beziehungen zur aufstrebenden Wirtschaftsmacht Türkei nicht zu gefährden. Und das ist, mit Verlaub gesagt, ebenfalls lupenreiner Opportunismus.

Auch der türkische Ministerpräsident Erdoğan verhält sich letztlich opportunistisch, wenn er bei seiner lautstark vorgetragenen Kritik an Sarkozy diesen an den „Völkermord an den Algeriern“ durch die Franzosen erinnert. Der algerische Ministerpräsident Ahmed Ouyahia ermahnte Erdoğan mit deutlichen Worten. Niemand habe das Recht, das Blut der Algerier zu seinem Geschäft zu machen. Und: „Wir sagen unseren türkischen Freunden: Hört auf, aus der Kolonisierung Algeriens Kapital zu schlagen.“ Das gilt umso mehr, zumal die Türkei die Algerier bei ihrem Befreiungskampf nicht nur nicht unterstützt, sondern als NATO-Mitglied Frankreich zur Seite gestanden hatte.

Und Erdoğan, der immer wieder die Debatte bezüglich des Völkermordes an den Armeniern Historikern überlassen möchte, hat seine eigene Forderung selbst ad absurdum geführt. Es war der Politiker Erdoğan, der erst kürzlich das Massaker an den Kurden von Dersim aus dem Jahr 1937 vor der AKP-Fraktion im Türkischen Parlament, eben einem politischen Gremium, thematisierte und sich stellvertretend für den türkischen Staat – wenn auch halbherzig – entschuldigte.

Es geht also doch: Türkische Politiker können sich zu den dunklen Seiten ihres Landes kritisch äußern. Allerdings haben alle bisherigen türkischen Regierungen – die jetzige ausdrücklich eingeschlossen – nie den politischen Mut gehabt, sich klar und deutlich zu der Vernichtung der Armenier zu äußern. Mehr noch: Sie haben alles Mögliche unternommen, um diesen Völkermord abzustreiten und zu vertuschen. Nach wie vor werden namhafte Summen bereitgestellt, damit offiziell geförderte „Wissenschaftler“ zutiefst unwissenschaftliche Arbeiten produzieren, deren Ergebnis von vornherein feststeht: Es hat nie einen Völkermord an den Armeniern gegeben.

Erst dann, wenn die türkische Politik sich zu einem Paradigmenwechsel bereitfindet, wenn also die türkische Politik endlich ihre Hausaufgaben macht, werden Drittstaaten nicht mehr den Völkermord an den Armeniern für ihre Zwecke einspannen können.

Diese Binsenweisheit hört man in der Türkei nur aus Dissidentenkreisen, so auch von der Menschenrechtsvereinigung IHD , Taner Akçam, Recep Maraşlı und Ragıp Zarakolu, der letztere aus dem Gefängnis. Und kurdische Abgeordnete erinnerten im Türkischen Parlament an die Vernichtung der Armenier und wurden ausgebuht.

Die offizielle türkische Politik hingegen hat anderes vor. So verkündete der türkische Außenminister Davutoğlu: „Angesichts dieser fanatischen Haltung Frankreichs werden wir überall hingehen, wo es Armenier gibt, und mit ihnen sprechen. Wir werden ihnen erzählen, wie Frankreich und die anderen Staaten einen Keil zwischen uns (Türken und Armenier) treiben wollen.“ Das erinnert unweigerlich an die „innovativen“ Mittel vor über einem Jahr, mit denen die offizielle Türkei die armenische Diaspora umgarnen wollte.

In 2015, in drei Jahren also, wird weltweit der Ermordung der Armenier vor dann 100 Jahren gedacht werden. Manche sprechen schon jetzt davon, dass ein politischer Tsunami auf die Türkei zurollt. Die Äußerungen des türkischen Außenministers machen auf erschreckende Weise deutlich, dass die türkische Politik dies nicht begreifen möchte und möglicherweise auch nicht begreifen kann.

An 2015 anknüpfend hat Ragıp Zarakolu aus dem Gefängnis einen Antrag an das Präsidium der Großen Türkischen Nationalversammlung (Parlament) gestellt und dieses aufgefordert, sich der Geschichte zu stellen. Ob das hilft?

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